Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
nicht getötet habe, auch wenn ich ein Motiv hätte: Rache. Abgesehen davon habe ich ein hieb- und stichfestes Alibi für die Tatzeit.«
»Was ist mit der Explosion auf Nordstrand?«
»Ein Unfall, glauben Sie mir.«
»Das können Sie mir nicht erzählen.« Wiebke rührte in ihrem Latte Macchiato und nippte daran. »Sie wollten die letzten Spuren verwischen, die meine Kollegen in Flensburg noch nicht verwertet hatten.«
»Unsinn. Es war ein Unglück, glauben Sie mir oder lassen Sie es.« Er winkte ab. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was Sie zum Lösen des Falles benötigen. Nun sind Sie an der Reihe. Finden Sie Michels’ Mörder und schließen Sie den Fall ab.«
»Warum erzählen Sie mir das alles? Das tun Sie nicht nur aus purem Gerechtigkeitssinn.«
»Ich hätte es Ihnen schon lange erzählt. Sie erinnern sich an den Stromausfall in Ostenfeld? An diesem Abend wollte ich Kontakt im Schutze der Dunkelheit mit Ihnen aufnehmen. Aber Ihr Freund kam mir bedauerlicherweise zuvor.«
»Mein Exfreund«, verbesserte Wiebke ihn schnell, dann stutzte sie. »Moment, Sie stecken auch hinter dem Stromausfall?«
»Ich wollte nicht gesehen werden und kein Risiko eingehen. Es ist leichter, als Sie denken, das Dorf dunkel zu machen.« Nun setzte er ein jungenhaftes Grinsen auf. Wiebke konnte ihm nicht böse sein, und etwas tief in ihr sagte ihr, dass er den Toten im Strandkorb nicht auf dem Gewissen hatte.
»Was ist mit Ubbo Harmsen?«
»Der Mann von der Besitzerin des Möwennestes ?« Berger winkte ab. »Vergessen Sie es. Ein armes Würstchen. Der klassische Loser-Typ. Kriegte nichts auf die Reihe, trank und vernachlässigte seine Frau. Das Ergebnis kennen wir. Nein, er wurde nicht ermordet. Ganz klar Suizid.«
»Woher wissen Sie das?«
Berger schmunzelte. »Ich kenne den Obduktionsbericht. Wollen Sie wissen, was Harmsen zuletzt zu sich genommen hat, oder glauben Sie mir auch so?«
Wiebke staunte. Aber es war logisch, dass eine Behörde wie der BND mehr Druck auf die Gerichtsmediziner ausüben konnte als die Polizeiinspektion Husum. Sie war froh, dass Bente ihren Mann nicht erschossen hatte und nahm sich vor, nach dem Treffen mit Berger Jan Petersen anzurufen. Bente Harmsen war tatsächlich zum Bauernopfer geworden und saß unschuldig hinter Gittern.
»Eins noch, wenn es Sie beruhigt: Die Sache mit der Explosion ist übrigens dumm gelaufen – ein Gasschlauch war porös und hätte nach der letzten Druckprüfung erneuert werden sollen. Das haben die Harmsens wohl aus Kostengründen unterlassen. Das Ergebnis kennen wir nun. Vielleicht hätte man ihnen die Gasanlage nach der Untersuchung besser stilllegen sollen.« Er zuckte die Schultern. »Der Prüfer wird sich jetzt dafür verantworten müssen.«
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Wiebke und wunderte sich, über welche Hintergrundinformationen dieser Mann verfügte.
»Das liegt ganz bei Ihnen. Sie wissen nun, was geschehen ist und wie die Dinge zusammengehören. Vergessen Sie den Fall oder ermitteln Sie weiter. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich sagen kann, und hoffe auf Ihre Verschwiegenheit.« Er griff in die Innentasche seines Jacketts und zog das Portemonnaie hervor. Nachdem er einen Zehn-Euro-Schein unter das leere Cola-Glas geschoben hatte, erhob er sich mit einem Kopfnicken und verließ das Bistro.
Wiebke sprang ebenfalls auf und erntete dafür die verständnislosen Blicke der anderen Gäste. Den Kellner, der auf sie zusprang und sie am Arm festhalten wollte, schüttelte sie ab. »Ich habe keine Zeit«, rief sie. »Auf dem Tisch liegt Geld, der Rest ist für Sie.« Wiebke riss die Tür auf und stand auf dem Kornmarkt. Nur noch wenige Menschen waren unterwegs. Sie warf den Kopf herum und suchte die Umgebung ab. Von Kai Berger keine Spur. Auch in einem der zahlreichen dunklen Hauseingänge hatte er sich nicht versteckt. Es schien, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Missmutig machte sie sich auf den Rückweg zum Auto.
Vierundzwanzig
Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Hatte sie beim Zubettgehen noch einen klaren Sternenhimmel über Ostenfeld gesehen, so waren kurze Zeit später dicke Wolken über das Land gezogen. Als Wiebke an diesem Morgen am Fenster des großen Wohnzimmers stand und in den Garten blickte, sah die Landschaft trostlos aus. Die alten Birken hinter dem Haus bogen sich im Wind, und schwarze Wolken schoben sich nach Osten und brachten einen Schauer über das Land. Fröstelnd wandte sich Wiebke ab und ging in die Küche,
Weitere Kostenlose Bücher