Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
anderen ein Vergnügen sein musste, ganz im Gegenteil. Den Empfängern der aktuellen Briefsendung würde er jedenfalls keine Freude bereiten, so viel stand fest. Das eine war ein Schuss aus der Hüfte, könnte sein, dass die Kugel ihr Ziel verfehlte. Im zweiten Fall war er sich ziemlich sicher, einen Volltreffer zu landen. Denn was er gegen diesen Typen in den Händen hatte, war für sensiblere Charaktere wie ein Schlag in die Magengrube. Schlimmer noch, ein Tritt in die Eier traf es besser. Der Schmerz würde wie ein Blitz in die Kronjuwelen fahren und den armen Kerl vom Scheitel bis zur Sohle paralysieren. Deshalb hatte Marco nicht nur den Vorfall dokumentiert, er hatte auch gleich die Höhe der ersten Zahlung definiert, ein enges Ultimatum gesetzt und die Übergabemodalitäten erläutert. Das würde rasch gehen, da war er sich ziemlich sicher.
Wenig später parkte er die Vespa neben den Holztischen einer rustikalen Weinschenke. Er bestellte einen Gewürztraminer, jenen kräftigen Weißwein mit seinen intensiven Aromen, der nach dem Ort Tramin an der Südtiroler Weinstraße benannt war und von hier seinen Siegeszug nach Deutschland und ins Elsass, ja sogar bis nach Kalifornien angetreten hatte. Er entwickelte einige Ideen, wie er dem Schönheitsprofessor Feuer unter dem Hintern machen könnte. Als Erstes würde er Puttmengers Ferrari anzünden, das war zwar prinzipiell schade, würde aber seine Wirkung nicht verfehlen. Dann könnte er mit der Schrotflinte seines Schwagers auf die Fensterscheiben von Puttmengers Ansitz schießen. Er dachte nach und verwarf den Gedanken, er würde auch das mit dem Ferrari sein lassen. Mit solchen Aktionen käme nur die Polizei ins Spiel, was nichts brachte und die Sache unnötig verkomplizierte. Der Typ mit dem Land Rover kam schon ungelegen genug. Besser war es, im Stillen zu agieren, aber mit dem gebotenen Nachdruck.
Er nahm einen Schluck vom Gewürztraminer. Offenbar regte dieser seine Gehirnzellen an, denn schon hatte er einen neuen Einfall. Doch, so würde er es machen. Danach würde Puttmenger vollends durchdrehen, da war er sich absolut sicher. Und wer die Kontrolle über sein Handeln verlor, der war ein leichtes Fressen. Marco grinste. Nun hatte sich die Observierung von Puttmengers Anwesen also doch noch ausgezahlt. Erstens wäre ihm sonst die Existenz des Stockmenschen entgangen. Zweitens hätte er nicht gewusst, dass der Arzt eine kleine Katze besaß, die er gerne auf den Arm nahm und streichelte. Marco mochte keine Katzen!
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Emilio lehnte es ab, Zahlen allzu große Aufmerksamkeit zu schenken. Überhaupt war er der Meinung, dass entschieden zu viel mit Statistiken jongliert wurde. Zahlen verschleierten den Blick aufs Wesentliche. Deshalb interessierte es ihn nicht, dass der Grauburgunder in Südtirol auf 585 Hektar angebaut wurde, der Gewürztraminer auf 520 Hektar, der Lagrein auf 416 Hektar … So stand es jedenfalls in einer Publikation, die er gerade in den Händen hielt. Emilio saß in einer Ecke des Winecenters in Kaltern, das ihn mit seiner modernen Architektur überrascht hatte, und blätterte in Büchern, Zeitschriften und Broschüren, die er vor sich auf einem Tisch liegen hatte. Über 5000 Weinbauern, 5300 Hektar Rebfläche, Gesamtproduktion 327000 Hektoliter … Er hätte fast mal einen Reiseführer erwürgt, der ihm in einer Kathedrale alle Jahreszahlen der fünfhundertjährigen Geschichte vortragen wollte, dazu im Detail die Höhen- und Breitenmaße des Bauwerks.
Emilio fand es völlig ausreichend, sich grobe Orientierungen einzuprägen. Im konkreten Fall fand er es bemerkenswert, dass im einstigen Rotweinland Südtirol heute über die Hälfte der Weinberge mit weißen Reben bepflanzt waren. Er stellte fest, dass in den Weinführern der Weißburgunder mit schöner Regelmäßigkeit die höchsten Auszeichnungen bekam. Das fand er ausgesprochen erfreulich. Emilio stiegen sanftwürzige, fruchtige, zartrauchige Aromen in die Nase, am Gaumen glaubte er, eine leichte Säure zu spüren. Ein guter Weißburgunder hatte seine Sympathien, das galt in gleicher Weise für einen italienischen Pinot bianco wie für einen französischen Pinot blanc – weil ja alles dieselbe Rebsorte war.
Emilio überflog die weiteren weißen Trauben, die in Südtirol angebaut wurden: Sauvignon blanc, Grauburgunder, Silvaner, Riesling, Gewürztraminer, Veltliner, Kerner … Dann die roten Sorten: Lagrein, Blauburgunder, Merlot, Vernatsch … Na
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