Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Weinberg. Marco hängte den Helm über das Lenkrad. Er entnahm dem Staufach einen Schlagring und steckte sich ein Kampfmesser in den Gürtel. Dann folgte er dem Baron auf seinem Weg in den Weinberg.
Zehn Minuten später sah sich Marco ratlos um. Er hatte den Mann aus den Augen verloren. Das durfte doch nicht wahr sein.
«Haben Sie sich verlaufen?»
Marco wirbelte herum. Der Baron sah ihn freundlich an. Er stand keine drei Meter entfernt zwischen den Rebstöcken, mit der einen Hand lässig auf seinen Gehstock gestützt, in der anderen hielt er einige Trauben, von denen er naschte. «Sind noch nicht reif», sagte er und spuckte die Kerne aus.
Marco grinste. Der Mann war ja noch bescheuerter als gedacht. Die unreifen Trauben würden ihm gleich im Halse stecken bleiben.
«Könnte es sein, dass Sie mich verfolgen?», fragte Emilio. «Wenn ja, wäre es am besten, wenn Sie mir sagen, was Sie wollen. Wir werden uns sicherlich verständigen.»
«Das glaub ich kaum», zischte Marco und hob die Hand mit dem Schlagring. Mit der anderen zog er das Messer aus dem Gürtel.
Emilio sah ihn verwundert an. «Was haben Sie vor? Bitte machen Sie keinen Ärger.»
Marco genoss den Augenblick. Dann griff er an.
***
Dreißig Sekunden später war alles vorbei. Reglos lag der Körper auf dem Boden. An der linken Schläfe sickerte Blut aus der aufgeplatzten Haut. Der Atem ging flach. Wäre Marco nicht ohnmächtig gewesen, hätte er sich vielleicht erinnert, wie sein Schlag ins Leere ging. Aus den Augenwinkeln hatte er wahrgenommen, wie der Baron aus dem Gehstock plötzlich einen Degen herauszog. Hätte er etwas davon verstanden, hätte er einen perfekten Patinando erkannt, einen Schritt mit anschließendem Ausfall, eine spielerische Cavation mit kreisförmiger Bewegung des Degens und einem anschließenden Coupé. Aber im Unterschied zu Emilio hatte Marco keine Ahnung vom Fechtsport. Er konnte nicht wissen, dass der Baron in seiner Internatszeit in der ersten Mannschaft gekämpft hatte. Auch hatte er noch nie von antiquarischen Spazierstöcken gehört, die im Inneren einen Degen verbargen. In Emilios Fall handelte es sich um ein Erbstück. Solche Degenstöcke waren früher gar nicht so selten, sind heute aber verboten. Und erst recht nichts wusste Marco von einem alten englischen Stockkampf, der an Emilios Internat gelehrt wurde. Während er noch mit Schrecken die Degenspitze an seiner Kehle spürte, hatte ihn der Stock mit voller Wucht an der Schläfe getroffen – dann war er zu Boden gegangen.
***
Emilio schob den Degen in die schwarz polierte Stockhülle, die aus massivem Holz gefertigt war, und verriegelte den silbernen Knauf. Er stützte sich mit beiden Händen auf den Stock und atmete schwer. Er war völlig außer Form. Nicht auszudenken, wenn ihn sein Gegner wirklich gefordert hätte. Er hatte vom Überraschungsmoment profitiert und von einer Technik, die er mal gut beherrscht hatte, jetzt aber ausgesprochen verbesserungsfähig war. Beim Patinando wäre er fast gestolpert. Er nahm sich vor, in München wieder Fechtunterricht zu nehmen. Auch musste er an seiner Fitness arbeiten. Außerdem tat sein Bein höllisch weh. Und jetzt fing sein Opponent auch noch an, sich zu bewegen. Emilio beugte sich zu ihm herunter, suchte die richtige Stelle am Hals, drückte eine Weile zu, dann war wieder Ruhe. Gott, wie hasste er solche Situationen.
Er hob das Messer auf, das sein Gegner hatte fallen lassen. Es hatte furchterregende Zacken und Blutrinnen. Emilio schauderte es. Erst wollte er es in die Rebstöcke werfen, dann steckte er es in seinen Gürtel. Vielleicht konnte er es mal brauchen. Zum Speckschneiden wäre es allerdings zu martialisch. Emilio kniete sich ächzend hin und entnahm der Gesäßtasche des Bewusstlosen einen Geldbeutel, in dem sich der Führerschein befand und eine Krankenversicherungskarte. Marco Giardino. Jedenfalls wusste er jetzt, wie der Grobian hieß. In der Seitentasche fand er Marcos Handy. Diesmal konnte er der modernen Kommunikationstechnik eine positive Seite abgewinnen. Denn die Anrufliste war wirklich aufschlussreich. Vermutlich hatte das Handy eine anonyme Prepaid-Karte, sonst hätte sich Marco wohl kaum getraut, einige Gespräche mit Puttmenger direkt von seinem telefonino zu führen. Auch entdeckte er im Speicher die Telefonnummer von Ernst Steixner. Emilio lächelte. Ein kluger Mann hatte mal gesagt: Ich suche nicht, das Gesuchte findet mich! Diese Weisheit bestätigte sich einmal mehr: Es gab keinen
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