Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Zweifel, dass Marco Giardino der von ihm gesuchte Erpresser war. Aber nicht Emilio hatte ihn gefunden, sondern umgekehrt.
Er durchstöberte die Anrufliste, glich diese mit dem Adressverzeichnis ab, stieß immer wieder auf den Namen Laura mit einer Adresse in Lana. Er stellte fest, dass diese identisch war mit der Angabe auf Marcos Krankenversicherungskarte. Kurz entschlossen nahm er sein Handy und rief dort an. Ob er Marco sprechen könne, fragte er. Nein, ihr Bruder sei unterwegs, bekam er zur Antwort. Er komme wahrscheinlich erst spät nach Hause. Am besten könne er ihn morgen früh erreichen. Emilio bedankte sich und legte auf. Er war sich unschlüssig, was er machen sollte. Marco der Polizei übergeben? Dann kam zwangsweise heraus, womit der Ganove Steixner und Puttmenger erpresst hatte, das war nicht im Sinne seiner Klienten. Emilio kniete sich wieder hin, was sein Bein mit einem stechenden Schmerz beantwortete, zog Marco den Gürtel aus der Hose, rollte ihn auf den Bauch, bog seine Arme auf den Rücken und fesselte diese, so gut er konnte. Marco machte keinen Mucks. Nach kurzem Zögern opferte er auch seinen eigenen Gürtel, den hatte schon sein Vater getragen, das Kampfmesser steckte er in die Erde, und fesselte auch Marcos Beine. Dann rollte er ihn wieder auf den Rücken. Er hob ein Augenlid von Marco und kontrollierte seine Pupille. So schnell würde er nicht zu Bewusstsein gelangen. Sein Atem ging gleichmäßig, er hatte sich auch nicht erbrochen. Er würde es überstehen. Emilio nahm Marcos Schlüssel für die Vespa an sich, das Handy und das Kampfmesser. Er machte noch ein Foto von ihm. Dann ließ er Marco liegen und lief mit rutschender Hose zurück zum Parkplatz. Dabei merkte er sich die Rebzeilen. Im Staufach der Vespa fand er ein Schlüsseletui. Den Vespaschlüssel steckte er ins Zündschloss. Dann bestieg er seinen Landy und fuhr los. Er hatte eine Idee.
***
In Lana fand er die Straße mit der angegebenen Adresse von Laura. Er parkte und beobachtete das Haus. Es war Licht an, und man ahnte das Flackern eines Fernsehers. Marcos Schwester hieß mit Nachnamen nicht Giardino, sondern Marinelli, also war sie verheiratet. Ob auch ihr Ehemann im Haus wohnte? Ob sie Kinder hatte? Einen Hund? Lauter Fragezeichen, viel zu viele Fragezeichen für einen vernünftigen Plan. Aber versuchen konnte Emilio es. Er nahm sein Handy, bei dem er wohlweislich die Nummer unterdrückt hatte, und rief erneut bei Marcos Schwester an. «Wir haben vorhin schon miteinander gesprochen», sagte er. «Bitte regen Sie sich nicht auf, es ist nichts Schlimmes passiert. Ihr Bruder hatte einen kleinen Unfall und braucht dringend Ihre Hilfe. Er hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Sie keinesfalls die Polizei verständigen sollen. Ich beschreibe Ihnen jetzt den Weg, wo Sie Marco finden können. Und falls Ihr Mann zu Hause ist, nehmen Sie ihn bitte mit, Sie werden seine Hilfe brauchen.»
Laura nahm den Anruf relativ gefasst entgegen, offenbar war sie von ihrem Bruder einiges gewohnt. Er hatte den Eindruck, dass sie auch ohne seinen Hinweis nicht auf die Idee gekommen wäre, die Polizei zu verständigen. Er beschrieb die Strecke zum Parkplatz, wo Marcos Vespa stand, und von dort den weiteren Weg mit genauer Angabe der Rebzeile. Dann legte er auf und wartete.
Es dauerte nur wenige Minuten, dann gingen im ganzen Haus die Lichter aus. Eine junge Frau kam herausgelaufen, hinter ihr ein kräftiger Mann mit einem Jagdgewehr. Sie bestiegen einen kleinen Alfa und entfernten sich mit hoher Geschwindigkeit.
Emilio blieb noch etwas sitzen. Vielleicht hatten sie in der Aufregung was vergessen und kehrten um. Im Haus war alles dunkel. Was gegen die Existenz von Kindern sprach, die bei dem überstürzten Aufbruch sicher wach geworden wären. Emilio stieg aus, sah sich um, fühlte sich unbeobachtet, ging zum Haus und sperrte mit Marcos Schlüssel auf. Er zog die Tür hinter sich ins Schloss und wartete. Kein Geräusch, auch kein Hund. Kurz entschlossen machte er das Licht an. Er hatte keine Taschenlampe im Auto, was ihm wieder mal vor Augen führte, was für ein schlechter Detektiv er war. Das Haus war nicht groß, er hatte sich schnell einen Überblick verschafft. Unter dem Dach fand er ein kleines, unaufgeräumtes Zimmer, in dem offenbar Marco hauste. Auf dem Boden standen einige Schuhkartons mit Fotos, Computerdisketten, die längst nicht mehr gebräuchlich waren, mit Dokumenten und Notizen. Er erkannte die belastenden Fotos, die ihm aus
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