Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
jemand nachgeholfen? Emilio dachte an die blondhaarige Phina, an einen gelben Rucksack, an ihre berechtigte Sorge, dass Niki sie um ihr Weingut bringen könnte. Ihm fiel noch vieles andere ein, um dann zu sagen: «Liebe Theresa, es spricht alles dafür, dass Niki bei seiner Bergwanderung verunglückt ist. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ihn jemand hätte umbringen wollen.» Er nahm ihre Hand. «Deine Ahnungen haben sich nicht bestätigt. Das ist auch viel besser so. Du hast alles für Niki getan, und dafür, die Wahrheit herauszufinden. Du kannst wieder ruhig schlafen.»
Sie sah ihn zweifelnd an. «Warum sagt mein Herz etwas anderes?»
«Theresa, ich weiß es nicht. Es ist über zehn Jahre her. Du musst Niki endlich loslassen.»
«Loslassen? Das geht nicht. Emilio, sei bitte ehrlich, es gibt nicht den kleinsten Zweifel?»
Warum war sie so hartnäckig? Was brachte es, wenn er ihr die Wahrheit erzählte?
«Ich bin bei meinen Recherchen in einen anderen Fall verstrickt worden», sagte er, um vom Thema abzulenken, wobei er in der gleichen Sekunde merkte, dass er sich auf dünnes Eis begab. «In dem Zusammenhang habe ich eine Frage: Sagt dir der Name Marco etwas, Marco Giardino?»
«Marco? Aber natürlich, das ist ein alter Freund von Niki aus Kinder- und Jugendtagen. Übrigens sehr zu meinem Missfallen: Marco war für meinen Bub der falsche Umgang.»
«Warum das?»
«Na ja, er kommt aus ganz einfachen Verhältnissen, mit italienischen Eltern, nicht unser Milieu, wenn du verstehst. Und er war schon immer ein Hallodri. Aber er war Nikis bester Freund, er ist bei uns zu Hause ein- und ausgegangen, konnte auch sehr charmant sein. Wenn Niki als Kind in Schwierigkeiten war, hat ihn Marco rausgeprügelt. Sie haben immer gesagt, sie wären Blutsbrüder.»
«Wie bei Karl May?»
«Was Kinder sich halt so ausdenken. Wie kommst du auf Marco?»
Emilio konnte nicht lange überlegen, wie er aus der Nummer wieder rauskam. «Sein Name ist von Professor Puttmenger genannt worden», log er, «Niki hat die beiden wohl mal miteinander bekannt gemacht.»
«Das überrascht mich», sagte Theresa, «ich dachte, Niki und Marco hatten als Erwachsene keinen Kontakt mehr.»
«Offenbar doch, aber wohl nur selten.»
«Was ist das für ein Fall?»
«Nichts von Bedeutung», suchte Emilio nach einem Ausweg, «Marco hat in den letzten Wochen bei irgendwelchen Geschäften seine Partner übers Ohr gehauen», phantasierte er.
«In den letzten Wochen? Das kann nicht sein, Marco sitzt im Gefängnis.»
«Nein, nicht mehr. Er ist wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden.»
Theresa schüttelte missbilligend den Kopf. «Der Strafvollzug ist viel zu lax. Man sieht ja, was dabei herauskommt. Marco ist und bleibt ein Tunichtgut.»
«Ich habe noch eine Frage», sagte Emilio. Er zeigte Theresa den Safeschlüssel. «Den habe ich in Nikis altem Zimmer gefunden. Hast du eine Ahnung, wo er schließen könnte?»
«Den sehe ich zum ersten Mal. In meinem Haus gibt es keinen Safe. Du hast den Schlüssel in Nikis Zimmer gefunden? War der auch in einer Sakkotasche?»
«Du meinst, wie der Zettel mit der Warnung? Nein, ich habe in seinem Zimmer ein Versteck entdeckt, hinter einer Wandpaneele, da war ein Modellauto drin und dieser Schlüssel, sonst nichts.»
«Ein Versteck? Das musst du mir zeigen.»
«Aber gerne. Da kann Greta in Zukunft deinen Schmuck verstecken.»
«Warum denn das?», protestierte Theresa, «Schmuck soll man nicht verstecken, sondern tragen.» Sie stand auf. «So, genug ausgeruht, jetzt gehen wir weiter. Die Bank ist ungemütlich. Hier gibt’s nichts zu trinken.»
[zur Inhaltsübersicht]
57
Professor Falko Puttmenger nahm die Fotos, die ihm Emilio gegeben hatte, jene mit der halbnackten Nutte und den hohen Stiefeln, er sah sie sich nachdenklich an, dann sperrte er die Bilder in seine Schreibtischschublade. Den Koffer mit dem Geld würde er in die Klinik bringen und in seinem Arbeitszimmer im Safe verschließen.
Marco Giardino telefonierte mit einem Onkel in Kalabrien. Er fragte, ob er ihn demnächst besuchen könne, er müsse vielleicht für einige Monate untertauchen. Der Onkel sagte, dass die Familie heilig sei, natürlich könne er kommen. In seinem Dorf wäre er sicher.
Phina Pernhofer saß im Büro und studierte die Entwürfe neuer Weinetiketten. Sie war unkonzentriert, übermüdet und nervös. Sie hatte vorhin mit Theresa telefoniert, die von ihrem Spaziergang mit Emilio erzählte und offenbar nichts von ihrem
Weitere Kostenlose Bücher