Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
nicht bei dem Schönheitsfuzzi und auch nicht bei dem bescheuerten Steixner, bei denen war nichts mehr zu holen. Aber vielleicht bei Rottenthaler, der als prominentes Gemeinderatsmitglied viel zu verlieren hatte. Er musste nur erneut brauchbare Fotos schießen. Aber es fehlten die Informationen von Niki. Der hatte ihm genau gesagt, wo und wann er Rottenthaler erwischen würde. Scheiße, das funktionierte nicht. Und auch bei Welswacker und diesem Steuerberater Gimeno wusste er nicht weiter. Er musste sich wohl oder übel mit dem Geld begnügen, das er bereits abgegriffen hatte. Viel war es nicht, aber besser als gar nichts. Puttmengers Ferrari würde er mitnehmen, das stand fest. Er hatte einen alten Kumpel, der brauchte keine fünf Minuten, um das Fahrzeug zu starten. Und das elektrische Tor vor Puttmengers Ansitz kriegte er selber auf. Wenn er schon abhauen musste, dann wenigstens mit einem geilen Zwölfzylinder unter dem Arsch!
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Wie so oft war sich Emilio wieder mal selbst ein Rätsel. Vielleicht hatte er nur nach einem Grund gesucht, für einige Stunden abzuhauen. Oder er war entschieden neugieriger, als er das erwartet hätte. Jedenfalls war er jetzt unterwegs nach Süden. Der Motor seines Land Rovers brummte zuverlässig, die ausgeschlagene Lenkung strapazierte sein verletztes Handgelenk, und die Seitenscheiben waren von seinen Besuchen bei Kas-Rudl immer noch so verdreckt, dass er nicht viel von der Landschaft sehen konnte. An Rovereto war er schon vorbei, bei Affi würde er abbiegen und den Schildern nach Verona folgen. Er kannte die Stadt gut, aber nicht das Viertel, wo er heute hinwollte. Aber das hatte Zeit, vor Mitternacht machte es wenig Sinn. Er liebte Verona schon deshalb, weil sie als erste Stadt nach dem Brenner typisch italienisches Flair besaß. Die Altstadt lud zum Flanieren ein. In der Arena hatte er vor einigen Jahren Verdis Aida besucht – leider bei strömendem Regen.
***
Am frühen Abend stellte Emilio seinen Landy in einem Parkhaus ab, von dem es nicht weit zur Piazza Brà war. Dort trank er in einer der vielen Bars einen Campari. Dann bummelte er entlang der Modegeschäfte durch die Via Mazzini, stattete der Piazza delle Erbe einen Besuch ab. Eine Säule mit dem geflügelten Markuslöwen zeugte von der langen Herrschaft Venedigs über die Stadt an der Etsch. Emilio sparte sich die Casa di Giulietta in der Via Capello, wo Ladungen kompletter Reisebusse Shakespeares Romeo und Julia huldigten. Ob sie wussten, dass der Balkon extra für Touristen angebracht worden war? Stattdessen fand er den Weg in die Bottega del Vino, eine traditionsreiche Osteria, die alljährlich zur Weinmesse Vinitaly aus allen Nähten platzte. Auch heute ergatterte er nur mit Mühe einen Platz. Emilio mochte es nicht, alleine zum Essen zu gehen, aber noch weniger gern war er hungrig und durstig. Er dachte an seinen letzten Besuch der Bottega del Vino. Einige Jahre lag er schon zurück. Damals war er in charmanter Begleitung gewesen. Und weil er noch genau wusste, was sie gegessen und getrunken hatten, bestellte er Risotto all’amarone , danach Costolette di agnello alla griglia con pesto di rucola , dazu einen Amarone della Valpolicella Mazzano der Kellerei Masi. Man konnte die Vergangenheit nicht zurückholen, aber man konnte versuchen, sich so oft wie möglich an sie zu erinnern.
***
Fast hätte er einen Rückzieher gemacht, aber dann entschloss er sich am späten Abend doch noch, das eigentliche Ziel seines Ausflugs anzusteuern. Luis Gamper hatte ihm den Namen des Viertels genannt, das etwas außerhalb von Verona lag. Emilio musste einige Male fragen, was ihm keine Probleme bereitete, immerhin sprach er fließend Italienisch. Es war ihm klar, warum ihn die Menschen dabei so komisch ansahen. Die letzten Meter ging er zu Fuß. Ganz schön viele Nutten für ein Land, in dem die Prostitution als Gewerbe verboten war und es offiziell keine Bordelle geben durfte. Dies war ganz sicher kein Ort, an dem sich ein Mitglied der feinen Südtiroler Gesellschaft erwischen lassen wollte.
Emilio entdeckte den angeleuchteten Brunnen, der auf einem der Fotos im Hintergrund zu sehen war. Davor räkelten sich einige schräge Figuren, deren Geschlecht er nicht eindeutig feststellen konnte. Es gab viele Bars, aus denen wummernde Musik auf die Straßen drang. Überall gab es rote Lichter und blinkende Werbeversprechen. Türsteher sahen ihn an, als ob er sich aus einer anderen Welt hierher verirrt hätte.
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