Tod to go (Crime Shorties)
den Hamburger Hafen fehlt Dir die Zeit. All die Staatsbesuche, Bälle und Wohltätigkeitsveranstaltungen, der Besuch der Botschafter und die königlichen Hochzeiten. Dabei hätten wir viel zu besprechen. Über Willem-Alexander und die Pflichten am Hof, über Deine Schwiegermutter Beatrix nach ihrem schweren Verlust. Und wie geht es Prinz Constantijn?
Am Abend zeige ich Dir die alten Teppiche mit den Berggöttern und den Prinzen des Wassers. Mit den geheimen Zeichen und Botschaften, den Geschichten, die sich die Nomaden der Wüste abends am Feuer erzählen. Und die sie in ihre Teppiche knüpfen.
Von einsamen Hirten und Sandstürmen. Vom Kampf um das Wasser und von den Weissagungen der Alten. Von listigen Vögeln und dem Tuscheln der Windgeister.
Ich zeige Dir Teppiche aus Schiras, Täbris und Isfahan. Aus Buchara, Samarkand oder Seichur. Und jeder von ihnen erzählt Dir seine Geschichte. Auch ich habe eine Geschichte, Maxima. Eine blutige Geschichte.
Irgendwann wirst Du diesen Brief erhalten. Ich lege ihn in meine Kammer. Zu Deinem Bild. Neben Tante Elizabeth und Prinzessin Mette-Marit und Prinzessin Diana und all den anderen Mitgliedern unserer großen Familie.
Mein Name ist Radscha. Das ist Sanskrit und bedeutet König, und deshalb Maxima, deshalb sind wir sogar Verwandte ersten Grades. Einen Namen sucht man sich nicht aus, den schickt Dir der Kosmos. Meinen haben mir mein deutscher Vater und meine indische Mutter in einem Ashram in der Nähe von Kalkutta überbracht. Als Boten. So ein Name bestimmt Dein Leben. Er ist Zukunft und Verpflichtung. Verpflichtung kann schwierig sein. Du weißt das.
Glaub mir, liebe Maxima, eigentlich bin ich glücklich, denn ich bin hier der Radscha der Speicher und Schuten, der Fleete, Lastenaufzüge und Teppiche. Mein Reich duftet nach Koriander und Sackleinen, nach Paranüssen, Kakao und Petroleum. Groß ist mein Reich und bunt, doch jetzt weiß ich nicht mehr weiter.
Gestern Morgen dringt ein Ächzen aus dem Toilettenhäuschen bei St. Annen. Als ich an der Tür horche, gurgelt und rasselt es, als sei die Toilettenspülung kaputt.
Ich drücke die Tür auf und da liegt er auf dem Boden: Mein Freund Leon. Blut läuft über die Kacheln. Seine Augen sind geöffnet, die Brust aufgerissen von einem Sackhaken. Leons Körper zuckt, die Augen treten hervor. All das Blut. Wir Menschen haben so viel Blut. Und so viel Leben. Doch für Leon ist es jetzt vorbei. Sein Puls vergeht, die Augen brechen, der Kopf fällt leblos nach hinten.
Nur zwei Stunden vorher hat er mich besucht.
»Leon«, sage ich, »Lass die Hände davon.«
Aber er legt mir einen Stapel Papiere auf die Knie. Seine Hände zittern.
»Pass gut darauf auf. Ist meine Lebensversicherung.«
Immer wieder redet er vom >Zweiten Chef<.
»Es ist eine heiße Spur«, sagt Leon. »Wenn das an die Presseagenturen rausgeht, gibt es einen mächtigen Knall. Nicht nur in Hamburg. Vielleicht hält sogar ein Senator seine Hände auf.«
Ich habe keinen Ärger mit dem Zweiten Chef, aber Leon riecht »die ganz große Geschichte.« Leon arbeitet als freier Journalist für eine Zeitung und er sagt: »Ich will die Seite Eins.« Er redet über Drogenschmuggel und Korruption und Geld. Und, dass es für ihn Zeit wird, mit einer Bombenstory endlich mal Kasse zu machen.
Ach Maxima, Geld war für Leon nie wichtig, aber seitdem diese Frau an seiner Seite aufgetaucht ist, hat er sich verändert. Von einem Cabrio hat er geträumt. Vom Leben in der Sonne. Von der Copacabana. Von einem Bungalow auf Jamaika. Seine Augen leuchten und er sagt: »Diese Geschichte ist meine Eintrittskarte für ein gutes Leben, Radscha. Das ist der Platz in der ersten Reihe.«
Ich sage, was willst Du an der Copacabana und was um Himmelswillen soll ein Cabrio? In Hamburg?
Weißt Du Maxima, in meiner kleinen Kammer steht ein Mercedes-Sitz. Aus Leder, mit zwei Rissen. Abends stelle ich ihn an die Speichertür und die Welt zieht an mir vorbei.
Ich muss nicht einmal schalten und steuern. Keine Steuern und kein Benzin. Alles automatisch. Ich brauche keinen Führerschein und es stinkt nicht nach Abgasen. Weht der Wind von den Kais herüber, riecht es nach Bananen und Gewürzen und Kautschuk, nach Weizen und frischem Holz. Zumindest bilde ich mir das ein. Ich kann ja schlecht schreiben, dass es nach Containern riecht. Manchmal umrunde ich an einem Abend die ganze Welt.
Ich verstecke Leons Dokumente also in meiner Kammer.
»Ganz dicht bin ich dran«, flüstert er und
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