Tod to go (Crime Shorties)
Phantasie entzündet.
Man tuschelt im Freihafen darüber, aber nur wenige glauben, dass es diesen Speicher tatsächlich gibt. Auch ich habe immer gedacht, es ist das unsichtbare Shangri-la all der Menschen, denen der Zoll etwas abgenommen hat. Eine Art Gelobtes Land, in dem jeder finden kann, was er auf dieser Welt verloren hat.
In einer Ecke stapeln sich die Kartons mit Zigaretten zu wackeligen Türmen. Ausgestopfte Krokodile strecken sich auf einem robusten Holzregal und in offenen Jutesäcken liegen Tausende von Damentaschen aus Schlangenleder. Gleich nebenan ein Regal mit Elfenbeinfiguren und Stoßzähnen.
In der Mitte türmt sich ein Berg aus T-Shirts, Fußballtrikots, Shorts von Joop und Jil Sander, Lacoste-Hemden und Designerjeans. Und alle haben sie eins gemeinsam: Sie sind nicht das, wofür sie sich ausgeben. Boss, Dolce und Gabbana, Versace ... lauter Hemden, Hosen, Mäntel und Unterhosen mit falschen Papieren. Imitate. Ein verlorener Haufen von Stoff-Emigranten aus aller Herren Länder.
In einer anderen Ecke stapeln sich Kisten mit Parfumflaschen. Einige sind aufgerissen und Flakons, Dosen und Schminkutensilien quellen hervor, als wollten sie endlich ans Tageslicht, endlich am richtigen Leben teilnehmen. Heraus aus ihrer beengten Schattenwelt, in der sie vor sich hindämmern und nicht gebraucht werden.
Doch so ganz ohne Papiere sind sie nicht. An den Kartons und Regalen hängen Zettel mit Nummern. Alles ist sortiert, gezählt, registriert, verbucht, zugeordnet und festgehalten; wir sind schließlich in Deutschland. Die Aktennummern sind fett gedruckt.
Auch die in Spiritus eingelegten Schlangen- und Krokodilbabys, die Embryoechsen und Frösche, die nie auf die Welt gekommen sind und nicht die Potenz asiatischer Geschäftsleute steigern werden, sie alle haben eine Nummer. Auch, wenn sie am Ende verbrannt werden.
Die Außentür ist fest verschlossen. Überall leuchten jetzt rote Lämpchen. Löse ich den Alarm aus, bin ich geliefert. Vielleicht sollte ich mich einfach in den Berg von Kleidern legen und warten, bis die ersten Beamten mit neuer Ware kommen.
Geliefert wird hier bestimmt rund um die Uhr. Vielleicht gibt es ja auch eine Wachmannschaft, die ich salutierend im Joop T-Shirt begrüßen könnte. Aber wie soll ich erklären, wie ein Halb-Inder aus einem indischen Ashram in ihrem Allerheiligsten zu suchen hat?
Eine Gittertür führt in einen abgeteilten Verschlag. Auf dem Boden stehen grüne Kisten, die nach Öl und Metall riechen. Ich öffne einen Deckel. »Stinger-Rocket« steht auf einem Zettel, als handele sich um das letzte Modell einer Kaffeemaschine. Daneben ein rotes Heftchen mit technischen Zeichnungen und Anweisungen, wie man das Ding abschießt. Gebrauchsanweisungen für Raketen, alles hübsch gezeichnet, damit auch der einfältigste Soldat noch erkennen kann, wie er mit dem Ding umzugehen hat.
Vielleicht sollte ich einfach den Schwarzenegger machen, einfach das Tor aufschießen und im allgemeinem Getümmel ab durch den Rauch. Hasta la vista, Baby. Aber was, wenn ich das Gebäude in Brand setze? Und außerdem, was heißt schon Bedienungsanleitung, wer kann schon völlig sicher sein, die richtigen Hebel gezogen und Knöpfe gedrückt zu haben.
An den Klappen leuchten die roten Lampen der Alarmanlagen. Ich taste mich durch einen zweiten Raum. Hier sind die Seelen einer ganzen Armee von Gartenzwergen versammelt. Auch diese Wichtel müssen an der Grenze mit falschem Pass erwischt worden sein. Und nun können sie sehen, wie sie zurechtkommen in dieser Welt, in der alles vom richtigen Pass abhängt.
Da vorn auf dem Boden haben sie einen kleinen Staat gegründet. Vornweg leuchtet ein Wicht mit einer Zipfelmütze. Dahinter stehen seine Kumpane mit Spitzhacken und Schaufeln. Ein anderer hält eine Kerze in der Hand. Ein besonders lustiger Kerl hat eine Leiter geschultert. Was mich auf eine Idee bringt.
Sicher, die Fenster sind verbarrikadiert und mit Sensoren versehen, aber was ist mit der Decke? Auch da oben muss es Öffnungen geben. Lüftungsklappen, Notluken. Vielleicht einen Rauchabzug?
Plötzlich springt ein Motor an und ein Rauschen erfüllt das Lager. Ich spüre einen kühlen Windzug.
Eine silberne Schlange aus Aluminium schlängelt sich bis zur Decke und verschwindet durch ein Loch im Dach. Das muss die Klimaanlage sein.
*
Immer wieder rutsche ich ab, ziehe mich hinauf. Irgendwann geht es nicht weiter. Ich hänge da oben an der Decke und finde in letzter Minute einen
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