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Tod to go (Crime Shorties)

Tod to go (Crime Shorties)

Titel: Tod to go (Crime Shorties) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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bin ich mit einer Kerze zum Toilettenhäuschen. Dorthin, wo Leon gestorben ist. Die Flamme flackert kurz auf, und dann ist da nichts mehr. Sein Geist hat sich verabschiedet. Ich bin dann den Brooktorkai hinauf. Beim afghanischen Museum höre ich ein Geräusch.
    Alles ist dunkel und Mohammed sicher längst zu Hause bei seiner Frau. Aber da ist ganz sicher ein Geräusch. Ein helles Lachen.
    Und dann denke ich wieder, ich träume. Aber vielleicht lebe ich ja in einem Traum und gleich, gleich klatscht jemand in die Hände und sagt: »Radscha, hey, Radscha: Aufwachen!«
     

In die Nacht musst du dich stürzen
     
    Der Abfall der Jahrhunderte fließt durch die Stadt, schlägt gegen die Bootsleiber, dümpelt vorbei an Börse und Rathaus, passiert hochherrschaftliche Stadtvillen und Mietskasernen und manchmal, manchmal landet er auch in meiner Plastiktüte.
    Die Dinge bewegen sich und ich mich mit ihnen. Immer, wenn der Schlamm an meinen Gummistiefeln hochspritzt, wenn das Wasser wieder ein paar Tonpfeifen, alte Münzen, Schmuck oder Handgranaten freigibt.
    Die Vasen, in denen vor Jahrhunderten Blumen aufblühten, Schnallen, die die Bäuche der Brauereiknechte zusammenhielten, silberne Haarnadeln, die ein stürmischer Liebhaber ins Wasser fallen ließ oder ausgediente Jugendstillampen, die im Fleet entsorgt wurden ... irgendwann kommt alles wieder hoch. Der Modder ist eine Schatzkiste und ich bin der Schatzgräber.
    Fleetenkieker wie mich gibt es, seit Huren an den Häuserecken der Reeperbahn stehen. Und die haben da immer schon gestanden.
    Erst seit Kurzem dagegen lag die Buddhafigur hier unten im Fleet. Sie war zwar nur aus Plastik, aber ich nahm sie trotzdem mit.
    Ich hatte die Figur gerade in meine Tüte gleiten lassen, als ich hinter dem Pfeiler der Trostbrücke einen himmelblauen Kotflügel sah.
    Er gehörte zu einem Auto, dessen Vorderreifen sich in den Schlamm gewühlt hatten. Brackiges Wasser zog an dem Wagen vorbei. Von der Kofferraumklappe leuchtete mir ein Kleeblatt entgegen und aus dem Wageninneren ragte ein menschlicher Arm in ein Rinnsal ablaufenden Fleetwassers. Zwischen den Fingern hatten sich faserige Pflanzen verfangen.
    Der Arm gehörte zu einem asiatisch aussehenden Mann. Sein Kopf lag verdreht auf dem Armaturenbrett. Am Fenster baumelte eine für immer verloschene Lichterkette.
    Auf dem hellen T-Shirt des Mannes hatte sich ein dunkler Blutfleck ausgebreitet. Mit der rechten Faust umschloss er den Schalthebel, als wollte er mit letzter Kraft einen Gang einlegen, um aus dem Fleet freizukommen.
    Als ich eine Decke von der Rückbank zog, entdeckte ich darunter ein vielleicht neun Jahre altes Mädchen. Deutlich konnte ich die weichen Linien ihres asiatischen Gesichtes erkennen. Ihre Hand umschloss ein Spielzeugauto. Das gleiche Modell, in dem sie gestorben war.
    Ich sah mir die Toten etwas gründlicher an. Die Kleidungsstücke an ihren Oberkörpern waren teilweise verrutscht und ich bemerkte an beiden Leichen in Höhe der Nieren stümperhafte, vereiterte Operationsnarben. Nicht gerade ein ärztliches Meisterstück. Sauber platziert waren dagegen die Einschusslöcher im Herzen.
    Ich berührte nichts weiter und überlegte, wo hier in der Nähe eine Telefonzelle zu finden war. Dann rief einem oben vorbeieilenden Passanten zu, er möge die Polizei alarmieren.
    »Aber wenn Gott die hungernden Menschen sieht, warum tut er denn nichts?«
    Die Kinderstimme wehte von der Brücke herunter.
    »Nein, der liebe Gott mahnt uns Menschen, selbst etwas gegen die Armut zu tun. Er will, dass wir uns um einander kümmern.«
    »In meinem Zimmer ist kein Platz mehr«, sagte ein Junge. »Höchstens auf dem Flur.«
    Ein Mädchen schlug vor: »Können wir nicht lieber Martin Luther spielen?«
    Ich kletterte die kleine stählerne Treppe hinauf.
    Vor mir stand, umringt von aufmerksam hochblickenden Kindern, eine rothaarige Frau. Sie war kräftig gebaut, trug einen langen Baumwollrock und sah sich verloren um. Der Ausdruck ihrer Augen pendelte zwischen Lachen und Weinen. Die Kinder musterten mich mit mäßigem Interesse. Aus Horrorfilmen im Fernsehen waren sie ganz andere Kaliber gewöhnt, als so ein Monster in Gummistiefeln und Öljacke, das aus einem Kanal stieg.
    »Sie sollten die Kinder hier wegbringen«, sagte ich.
    »Ja, natürlich. Was ist denn?«
    »Es ist ...«
    Ein kleines Mädchen, das so alt sein mochte wie das tote Kind im Wagen, zupfte an meiner Öljacke.
    »Sag mal, wohnt da unten Gott?«
    Ich sagte:

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