Tod to go (Crime Shorties)
als würde er mich zum ersten Mal sehen. Dann fuhr er sich durch die Haare, drückte den Rücken durch und lächelte. Ja, er war stolz, dass sein Sohn an diesem Wettbewerb teilnahm.
Am nächsten Tag allerdings kippte die Stimmung. Ich stand in der Küche. Im Arm vier Kartons, durch deren Luftlöcher sich kleine rosa Schnäuzchen drückten.
»Was ist das?«, fragte meine Mutter, beugte sich vor und kreischte auf.
»Wissenschaft«, sagte ich.
»Das sind Ratten!«
Zusammen mit meiner Schwester flüchtete sie sich in den Flur und gab Anweisungen durch die Tür. Entweder die Nager kämen sofort aus dem Haus, oder aber ich schwor, »auf der Stelle« einen Käfig mit stabilen Streben und Panzerglas-Verkleidung zu beschaffen.
Noch ahnte niemand aus meiner Familie, dass mich bei meinen Studien weniger das Verhalten meiner kleinen Rattenfamilie interessierte, sondern wie sich unser menschliches Familienleben in Gesellschaft einer friedlich vor sich hinlebenden Nagerfamilie verändern würde.
Konnten Haustiere familiären Frieden vorleben? Würde es zwischen uns weniger Schreierei, Türenknallen und dafür mehr gemeinsame Familienabende geben?
Die putzigen Wesen jedenfalls gaben ihr Bestes.
Ich beschaffte also einen mannshohen Hochsicherheitskäfig, den ich in unserem Bastelkeller aufbaute.
Um den Stein ins Rollen zu bringen, bekamen die Ratten die Vornamen unserer Familienmitglieder. Norbert, Nadja, Nina und Niclas murkelten sich im Käfig also ein schönes Nest zusammen, turnten auf getrocknetem Geäst herum und krabbelten durch kleine Papprollen.
Stur ignorierten meine Eltern und meine Schwester zwei Tage lang unsere neuen Mitbewohner, dann schlich meine liebe Familie um den Käfig herum.
»Warum muss Norbert eigentlich die ganze Arbeit machen?«, sagte mein Vater. Und meine Schwester versuchte, mit gezielt hineingeworfenen Nüssen die etwas dürre Nina-Ratte aufzupäppeln. Meine Mutter brauchte etwas länger, bis sie sich lauthals über die Dominanz von Norbert Ratte und die entsprechend bedauernswerte Nadja aufregte.
Ja, die Rattenfamilie war mitten unter uns angekommen. Doch niemand sah auf das zärtliche Miteinander im Käfig, auf den treusorgenden Vater oder den unternehmungslustigen grauen Niclas. Jeder begann, einen der Nager in sein menschliches Herz zu schließen und sich lauthals zu beschweren, dass er, je nach dem, nicht genug Nahrung, Freiraum oder Zeiten auf der Ratten-Wippe bekam.
Im Käfig ging es friedlich zu, das Türenschlagen in der Wohnung allerdings wurde immer lauter.
Ratte Norbert, Oberhaupt des pelzigen Clans, hatte alles im Griff. Er zeigte seinem Rattensohn Niclas ein paar Turnübungen auf dem Ast, den ich in den Käfig gelegt hatte. Er munterte seine Tochter Nina auf, mehr Nahrung zu sich zu nehmen und war hinsichtlich sexueller Aktivitäten weiterhin sehr interessiert an seiner Frau Nadja.
»Alle drei Stunden macht er sie fertig«, sagte meine Mutter mit düsterer Stimme und bedachte meinen unschuldig dreinschauenden Vater mit einem wütenden Blick.
Ich sah mir Nadja genauer an. Tatsächlich machte sie einen etwas erschöpften aber dennoch glücklichen Eindruck.
Ausgerechnet das Liebesleben der Ratten färbte tatsächlich ab. Zumindest auf meinen Vater. Noch in der gleichen Nacht hörte ich oben aus dem Schlafzimmer meiner Eltern aufgeregtes Stimmengemurmel, gefolgt von Türenklappern, und als ich zur Treppe sah, erkannte ich meine Mutter, die mit ihrer Bettdecke auf die Sofacouch umzog.
»Ich lass das nicht mit mir machen«, murmelte sie.
Am nächsten Morgen erwischte ich meine Mutter, wie sie einen Stuhl neben den Käfig rückte, sich setzte und nachdenklich den sehr potenten Norbert beobachtete.
»Hast du den Ratten was ins Essen getan?«, fragte sie mich mit strengem Blick. Ich verneinte und sie wandte sich wieder dem Käfig zu.
Am vierten Tag schwächelte der sonst so putzmuntere Ratten-Niclas.
Sollte ich ihn zum Tierarzt bringen? Meine Schwester sagte: »Ach, das ist nichts.« Irgendetwas in ihrem Tonfall machte mich skeptisch.
Ich stellte heimlich eine kleine Kamera an den Käfig, und als ich am nächsten Tag die Aufzeichnungen durchsah, entdeckte ich sie. Meine Schwester stand mit ihrem T-Shirt, auf dem ein Peace-Zeichen prangte, direkt vor dem Rattenkäfig, lockte Niclas an und krümelte ihm etwas vor die rosa Schnauze.
»Du willst ihn vergiften«, stellte ich sie zur Rede.
»Unsinn«, sagte sie. »Nur ein wenig von den Schlaftabletten, damit er mit seiner
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