Tod und Leidenschaft (German Edition)
zweiten Stock, wo seine Kammer, wie auch die anderen Dienstbotenzimmer unter dem Dach lag. Es war heiß und stickig. Das einzige Fenster, eine winzige Luke im Dach, ließ so gut wie keine Luft ein. Er hatte sich gerade auf die kleine Pritsche gesetzt, als ihm auch schon der Schweiß ausbrach.
Es gab einen Schrank, für den er nichts hatte, was er hätte hineinlegen können, die Pritsche, einen winzigen Tisch und einen Stuhl.
Aber alles war sauber. Die Matratze mit Rosshaar gefüllt, etwas durchgelegen, aber besser als alles, worauf er in den letzten Jahren gelegen hatte.
Er hob sie an, um zu sehen, ob sich Ungeziefer darunter wohnlich eingerichtet hatte. Nichts.
Der junge Ire atmete auf.
Von mir aus kannst du dir mit dem Abreisen Zeit lassen, dachte er schmunzelnd. Doch im gleichen Moment fiel ihm die merkwürdige Aura ein, die den Mann umgab. Etwas unendlich Angsteinflößendes.
Und da fragte er sich, ob es nicht immer noch besser war, stehend, an ein Seil geklammert in einem Doss- House zu schlafen, als unter einem Dach mit solch einem Menschen …
X
In seinem Kopf tobte ein Orkan. Im gleichen Moment, da er die Augen geöffnet hatte, war eine Woge aus Übelkeit über ihm zusammengeschlagen und er hatte gedacht, er müsse sich sofort übergeben.
Die Wunde unter dem Verband brannte, als hätte man sie mit Säure übergossen. Mühsam erinnerte er sich an die Vorgänge in dem heruntergekommenen Haus. Erinnerungssplitter tauchten auf, die überlagert wurden von den toten, weit aufgerissenen Augen der Frau, die neben ihm am Boden lag.
Er hatte mehr Glück gehabt, als sie.
Aber, dass der Mörder tot war – dessen war er sich sicher. Er hatte den Ripper erlegt! Ein solches Glücksgefühl überkam ihn, eine solche tiefe Zufriedenheit, dass er seine eigenen Schmerzen beinahe vergaß.
Jetzt konnten die Menschen in Whitechapel wieder zur Normalität übergehen. Der schwarze Schatten, der über London gelegen hatte, war verschwunden und ein gütiger Gott hatte ihm das unfassbare Geschenk gemacht, derjenige sein zu dürfen, der dies vollbracht hatte.
Jetzt hatte er auch den letzten Zweifler überzeugt, dass er ein guter Polizist war. Dass er taugte, wo er stand und kein nichtsnutziger Adelsspross war, der nur Hobby- Polizist spielte und sich verdrückte, wenn es ernst wurde.
Als die Tür geöffnet wurde, hielt er noch immer die Augen geschlossen. Er hatte Angst, den Kampf gegen den Brechreiz zu verlieren.
Es musste eine Schwester sein, die eingetreten war, denn der Stoff eines Rocks schleifte leise über den Boden, während diese sich ihm näherte.
Sie griff nach seiner Hand und wollte wohl den Puls fühlen.
Verwundert musste Harris feststellen, dass die Schwester nichts Dergleichen tat, sondern vielmehr seine Hand in der ihren hielt.
Wer mochte das sein? Elizabeth !, schoss es durch seinen Kopf. Es konnte keinen Zweifel geben, denn er kannte ihren Duft. Veilchen. Ja- sie duftete nach Veilchen. Mit einem Mal fühlte er sich wohl und geborgen. Harris hoffte, dass es sich nicht nur um einen Traum handelte, eingeflößt von Chloroform und Medikamenten.
Was sie wohl sagen würde, wenn er sie informierte, wen er da zur Strecke gebracht hatte … Und plötzlich dachte er, dass ihr Lob ihm mehr wert wäre, als jeder Orden, den ihm ein Vorgesetzter anheften konnte.
Ihre Hand war so zart und klein. Die Finger so feingliedrig und weich. Wenn sie sie auf seiner Haut bewegte, fühlte es sich an, als strichen Schmetterlingsflügel darüber.
Er hätte ewig so liegen können. Sie neben sich spürend. Ihrem Atem lauschen. Doch ein plötzlicher, brennender Schmerz seiner Wunde ließ seine Tarnung auffliegen. Harris riss seine Augen auf, und die Hand, sanft von ihrer gehalten, zuckte in Richtung seines Verbands.
Aber Elizabeth reagierte blitzschnell und hielt ihn zurück.
„Nicht hinfassen!“, stieß sie hervor.
Wie besorgt und gleichzeitig energisch ihre Stimme klang … Und wie gut ihm das tat!
Er musste sie einfach ansehen. Übelkeit hin oder her!
Elizabeth trug wieder ihr schlichtes, dunkles Kleid und ihr langes Haar sorgsam aufgesteckt. Darüber eine einfache Haube, deren einzige Garnierung in einem breiten Samtband bestand, das unter dem Kinn mit einer Schleife geschlossen wurde.
„Wie geht es ihnen?“
„Gut.“ Er wollte so viel mehr sagen, sie mit Worten überschütten, aber er vermochte es nicht. Konnte sie nur ansehen. Die wundervollen Augen, die vollen Lippen. Wie sich diese Locke über ihrer Stirn
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