Tod und Leidenschaft (German Edition)
wissen wir erst, wenn wir den Täter haben.“
„Wie hießen die Opfer? Waren sie uns bekannt?“
„Elizabeth Stride, das war die erste und Catherine Eddowes eben. Die auf dem Bild.“
Jetzt setzte Harris sich doch auf.
„Stride? Long Liz?“
Er war elektrisiert.
„Ja. Wieso?“ Seine Erregung sprang auf seinen Vorgesetzten über.
„Weil … na … Erinnern sie sich noch an die Hut verkäuferin?“
„ Hmmm … eine Miss Monterey …“
„Nein, Montgomery. Sie kam hier ins Krankenhaus und erzählte mir, dass sie eine Liz Stride kennen gelernt habe, und die habe ihr erzählt, sie wisse, wer der Ripper sei.“
„Fabelhaft“, knurrte Abberline. „Dann hat er ja genau die Richtige erwischt.“
In diesem Moment traf es Harris wie einen Blitz.
„Um Gottes Willen … wenn er diese Stride vielleicht nicht nur deswegen nicht ausgeweidet hat, weil er gestört wurde … sondern … weil er sie nur aus dem Weg haben wollte …“
„Dann ist er a) noch gefährlicher als wir dachten, weil er sich beherrschen kann und b) ist ihre Miss Montgomery womöglich in Lebensgefahr.“
Harris konnte nicht mehr in seinem Bett liegen bleiben. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob er seine Beine an und versuchte, sie auf den Boden zu stellen.
„Was tun sie denn da, Mann?“, rief Abberline entsetzt aus.
Doch sein jüngerer Kollege hatte sich bereits an das metallene Rohr am Fußende des Bettes geklammert und versuchte jetzt, sich daran hochzuziehen.
Schwindel brach auf ihn herein und heftige Übelkeit. Abberline packte ihn am Arm, unsicher, ob er ihm beim Aufstehen helfen sollte, oder ihn wieder zurück ins Bett befördern.
„Sie ist in Gefahr, Abberline!“ Harris ächzte und fürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen.
„Ich kümmere mich um sie. Wenn sie sich wieder hinlegen.“
„Sie müssen sie in Sicherheit bringen.“ Harris sah ein, dass er in diesem Zustand nicht einmal bis zur Tür kam.
„Und wohin?“
„Meine Wohnung steht ja jetzt leer. Der Schlüssel ist dort in meiner Manteltasche. Sie soll sich dort verstecken, bis alles bereinigt ist.“
Abberline tastete den Mantel ab, dann aber sah er Harris zweifelnd an.
„Ist nur fraglich, ob sie in die Wohnung eines Herrn einziehen wird …“
„Sie muss! In solch einer Situation kann man doch wohl kaum Rücksicht auf Konventionen nehmen.“
„Frauen sind da oft … na, sagen wir mal … eigen …“
„Sie muss vernünftig sein!“
„Jetzt machen sie sich keine Gedanken … Ich werde sie zu ihnen in die Wohnung bringen. Und sie erholen sich derweil, damit sie möglichst bald den Schutz übernehmen können!“
Er half Harris noch zurück und verabschiedete sich dann.
Wenn ihr irgendetwas zustoßen würde, könnte ich mir das nie vergeben, dachte Harris und Schweiß brach aus seiner Stirn. Natürlich war Abberline ein fabelhafter Polizist, aber er konnt e sie auch nicht rund um die Uhr bewachen.
Jetzt verfluchte er den Kerl, der ihn erwischt hatte. Er bewegte sich hin und her und fand keinen Ausweg. Nie zuvor hatte er sich so hilflos gefühlt. Und das im Angesicht eines Mörders, der alles sprengte, was sie sich je hätten vorstellen können.
Elizabeth verlieren … alleine der Gedanke fühlte sich an, als stürze er in einen nicht endenden Abgrund.
X
Elizabeth war unruhig. Der Besuch von Inspector Abberline im Laden hatte sie zutiefst beunruhigt.
Dass er sie aufgefordert hatte, ein paar Sachen zu packen, und in Harris Wohnung zu ziehen, war auch nicht gerade hilfreich gewesen. Davon abgesehen, dass sie nicht einfach so in die Wohnung eines wohlhabenden Junggesellen ziehen konnte, hatte ihr das Angebot auch deutlich gemacht, wie gefährlich ihre Situation war.
So vermengte sich die Sorge um Harris mit der Sorge um sich selbst.
Andererseits … wer sagte denn, dass der Ripper überhaupt von ihr wusste? Er hatte Stride getötet … Die Zeitungsjungen brüllten den Doppelmord ohne Unterlass die Straßen hinauf und hinunter.
Ihre Hände zitterten, bei dem Versuch, Hüte in die oberen Regalreihen zu packen.
Was sollte sie nur tun?
Zudem: sie musste arbeiten. Es war ausgeschlossen, dass sie die Stelle hier verlor. Dann wäre sie in kürzester Frist dort gelandet, wo der Ripper seine Opfer fand.
Elizabeth hatte Angst.
Sie versuchte abzuwägen, wie hoch das Risiko war, ermordet zu werden, im Vergleich zu den Aussichten, in der Gosse zu landen.
Nein, eine Heldin war sie nicht. Verfluchte Tee- Einladung. Verdammte Liz Stride.
Weitere Kostenlose Bücher