Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
warten. Ich fragte mich, ob Abendroth dies alles berücksichtigt hatte.
Lage gilt manchen als hässlichste Stadt Lippes. Die hingeduckten grauen Häuser entlang der Bundesstraße zeugen von jahrzehntelangem Joch im Schatten der Zuckerfabrik. Leer stehende Bauten erinnern an bessere Zeiten. »Im Dunkeln«, so hörte ich neulich einen Bauern an der Theke im Neuen Krug ernsthaft lamentieren, »möchte ich da nicht mit dem Trecker liegen bleiben …«
Ansonsten gibt es überall schlimmere Städte.
Im Lagenser Kreisel nahm Ollie die Ausfahrt Richtung Herford. Ich runzelte die Stirn. Bis Herford waren es bestimmt noch vierzig Minuten Fahrt. Zum Glück lag unser Ziel bereits in Bad Salzuflen, andernfalls würden wir es nicht rechtzeitig schaffen.
In Waddenhausen fuhr Ollie fast auf einen Laster auf. Fünf Minuten schlichen wir hinter diesem her, bis mein Fahrer die Geduld verlor und zum Überholen ansetzte.
Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihm etwas Wichtiges sagen. Aber es fiel mir nicht ein. Und wenn es mir eingefallen wäre, dann wäre es sowieso sinnlos gewesen. Der Achtzylinder-V-Motor heulte auf wie ein mehrdüsiger Kriegsbomber. Doch der Fahrer des Lkw schreckte erst auf, als wir mit ihm auf gleicher Höhe waren.
Was mich eher interessierte, war der entgegenkommende BMW. Dessen Fahrer schien an Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht das geringste Quantum Hirn zu verschwenden. Ich drückte mit beiden Füßen gleichzeitig das imaginäre Gas- und Bremspedal. Außerdem klammerte ich mich am Sitz fest. Ollie gab weiterhin verbissen Gas.
Und dann fiel mir wieder ein, wovor ich ihn hatte warnen wollen. Aber jetzt war es eh zu spät. Ich sah den BMW-Fahrer auf mich zurasen. Er war jetzt so dicht heran, dass ich sogar die Schweißperlen auf seinem kahlen Schädel zu sehen glaubte. Im nächsten Moment wurde ich zur Seite gerissen. Eine kakophonische Hupe betäubte meine Gehörgänge. Ich erwartete den Aufprall.
Aber der kam nicht.
Ich öffnete blinzelnd die Augen und erkannte, dass Ollie in letzter Sekunde den Schwenk nach rechts geschafft und den LKW überholt hatte.
»Ollie, ich …«
Ein regelrechtes Blitzlichtgewitter ging über uns hernieder. Das war es, was ich ihm die ganze Zeit hatte sagen wollen. Irgendwo hatte ich gelesen, dass die Polizei auf der B237 ein neues Radarfallensystem testen wollte.
Nun, sie hatten ein ideales Opfer gefunden!
Ollie sah kurz zu mir herüber, als erwarte er eine Erklärung.
Ich überlegte nicht eine Sekunde, sondern entschied rein aus dem Bauch heraus.
»Gib Gas!«, schrie ich.
Ollie nickte. Sein Gesicht unter dem Lederhelm wirkte zu allem entschlossen. Seine Augen blitzten voller Abenteuerlust. Einen solchen Anblick mussten seine Vorfahren geboten haben, als sie an der Seite von Richard Löwenherz am dritten Kreuzzug zur Rückeroberung Jerusalems teilnahmen und gegen die Truppen des Sultans Saladin kämpften.
Leider sieglos, und bekanntlich landete Richard Löwenherz später im Kerker.
Ollie war erfolgreicher. Ich schaute mich um und sah, dass die Polizisten noch immer dastanden wie paralysiert. Offensichtlich hatten sie nicht mit einem Wahnsinnigen gerechnet, der ihrer geballten Staatsmacht einfach davonfuhr. Dafür hatte der Brummifahrer angehalten. Ich sah, wie er ausstieg und mit beiden Händen gestikulierte. Ollie setzte zu einem weiteren Überholvorgang an, und die Szenerie entschwand meinem Blick.
»Wahrscheinlich sperren sie gleich ein paar Straßen ab«, schrie ich gegen den Motorenlärm an. »Am besten fährst du gleich mal links rein!«
Wir hatten das Messegelände in Bad Salzuflen erreicht. Das Navi pendelte sich neu ein. Wir waren noch immer in der korrekten Richtung unterwegs.
Ollie bremste ab und fädelte sich in den normalen Verkehr ein. Auf der Wasserfuhr ging es Richtung Wüsten. Wir näherten uns anscheinend unserem Ziel.
Ich konzentrierte mich darauf, abwechselnd auf meine Uhr zu schauen und den Kopf zu drehen, ob uns jemand auf den Fersen war. Allerdings waren wir nun auf den Nebenstraßen unterwegs. Andererseits: Der feuerrote Morgan war nicht gerade die ideale Tarnung.
Über uns hörte ich einen Hubschrauber kreisen. Unwillkürlich duckte ich mich. Er flog über uns hinweg und ging erst tiefer, als er über einem Waldstück kreiste. Wurden wir bereits gesucht? Hatte man einen Hubschrauber auf uns angesetzt? Mir schwante etwas. Doch ein weiterer Blick auf meine Uhr zeigte mir, dass wir dank Ollies Formel-1-Einlage noch immer zwölf Minuten Zeit
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