Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
in Schwarz gekleidet. Ganz so, als hätte es nicht ihren Hund, sondern den alten Heuwinkel erwischt. Das Kostüm stand ihr gut, vor allem der kurze Rock, der knapp über dem Oberschenkel endete. Darunter blitzte ein rüschenbesetztes Strumpfband. Ich revidierte meinen ersten Eindruck. Nach Trauer sah das nicht aus. Selbst ihre Lippen waren violett geschminkt und erinnerten an eine giftige Blüte.
»Ich glaube, Sie bringen mir Pech«, sagte sie. »Immer wenn Sie auftauchen, passiert irgendetwas.«
»Tut mir leid, dass ich Sie fast über den Haufen gerannt habe.«
Sie zupfte an ihrem Rock und zog ihn zurecht. »Ist schon in Ordnung«, sagte sie großzügig. »Wie wär’s, wenn Sie mich zu einem Tee einladen?«
Ich nickte, und sie hakte sich bei mir ein. »Wenn die Leute schon reden, dann sollen Sie auch einen Grund dazu haben, finden Sie nicht?«
Sie hatte doch keinen Tee bestellt, sondern sich für einen Cappuccino entschieden. Der Milchschaum setzte sich als weißer Bartflaum über ihrer Oberlippe ab. Wir saßen uns gegenüber. Das Café del Sol war proppenvoll. Wir hatten gerade noch einen Zweiertisch bekommen. Von meinem Platz aus konnte ich auf die Bahnschranken blicken.
»Und er hat die hausgemachte Sülze wirklich weggeschmissen?«, fragte ich.
»Herbert ist sehr eigen«, sagte sie.
»Verzeihen Sie, aber Sie wirken nicht gerade wie eine Frau, die sich von ihrem Ehemann herumkommandieren lässt.«
»Wir haben viel Spaß miteinander«, sagte sie mit gesenktem Blick.
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich. Ich fasste ihren Arm und schob den Ärmel ihrer schwarzen Kostümjacke hoch. Sie ließ es geschehen.
Auf dem Arm waren einige blaue Flecke.
»Er hat Sie geschlagen«, sagte ich empört.
»Ach, das ist halb so schlimm«, antwortete sie und zog den Ärmel wieder herunter.
»Warum verlassen Sie ihn nicht?«
»Das ist nicht so einfach.« Sie seufzte.
Während ihr Cappuccino langsam kalt wurde, erzählte sie mir ihre Lebensgeschichte. Ihre Eltern waren beide Alkoholiker. Es verging kaum ein Tag, an dem beide nicht lautstark stritten. Alle paar Tage prügelten sie aufeinander ein. Meistens war es ihre Mutter, die ihren Vater schlug. Ich erfuhr, dass Frau Heuwinkel mit Vornamen Hermine hieß. Sie war im tiefsten Erzgebirge, in Schwarzenberg, zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Ihr Großvater schnitzte Räuchermännchen. Mit zehn zog sie zu ihm, weil sie es bei ihren Eltern nicht mehr aushielt. Mit elf wurde sie von ihrem Großvater sexuell missbraucht.
Ab zwölf verdiente sie sich regelmäßig ein Taschengeld, indem sie sich von den älteren Jungs im Dorf befummeln ließ. Damals hörte sie leidenschaftlich Sisters of Mercy und kleidete sich ebenfalls wie ein Gothic. Mit sechzehn hatte sie die erste Abtreibung hinter sich. Mit siebzehn flüchtete sie nach Berlin und kam dort völlig unter die Räder. Ein paar Jahre lebte sie in der Gothic-, Drogen- und Obdachlosenszene. Ob gleichzeitig oder hintereinander, das wusste sie nicht mehr zu sagen. Sie stand meistens unter Drogen, und viele Erinnerungen an diese Zeit waren einfach verschüttgegangen. Zumindest wusste sie noch, in welcher Reihenfolge ihr der Durchbruch in ein normales Leben gelang: indem sie zuerst von den Drogen loskam, dann eine Wohnung fand und sich schließlich auch aus der Gothic-Szene abseilte. »Nicht, weil mir die Musik nicht gefallen hätte oder die Leute, im Gegenteil, die sind meistens viel netter und liebevoller als der gemeine Spießer. Außerdem sehnen sie sich nach dem Tod. Und das, so habe ich festgestellt, tue ich auch. Seit meiner Geburt …«
Sie hatte erkannt, dass es nicht gerade förderlich ist bei der Jobsuche, wenn man mit Piercings im Gesicht und ganz in Schwarz zum Vorstellungsgespräch erscheint. Also hatte sie sich allmählich einen anderen Style zugelegt. Sie trug noch immer am liebsten dunkle Kleidung, aber sie färbte sich die Haare nicht mehr tiefschwarz. Der rotblonde Typ kam besser an. Sie schminkte sich betont auffällig, mit schwarzer Wimperntusche und knallrotem Lippenstift.
Und das andere? Na gut, sie hatte auf der Schule ihr Abi nachgeholt und angefangen, Architektur zu studieren. Architektur deswegen, weil es in dem Dorf, aus dem sie kam, nur hässliche alte Häuser gab.
Einmal hatte sie im Atelier eines Schwarzenberger Künstlers ein Ölgemälde gesehen, das sie fasziniert hatte. Er hatte ihr erklärt, dass das Gebäude auf dem Bild Mont St. Michel sei. Von da an hatte sie den Wunsch gehabt,
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