Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
zu entfliehen!‹«
Jetzt sah ich es auch. Vor dem Kiosk stand eine Cola-Werbung.
»Du musst dich noch etwas gedulden«, sagte ich bedauernd.
Seit wir zuletzt vorbeigefahren waren, hatte sich die Lage nicht verändert. Ich zählte drei Busse. In einem saß der Fahrer hinter dem Steuer und schien eingenickt. Die beiden anderen Busse waren leer. Der eine Fahrer döste immer noch in der Sonne, der andere studierte immer noch die BILD. Da sie uns den Rücken zuwandten, bemerkten sie uns nicht.
»Was hast du vor?«, fragte Ollie.
»Verlass dich einfach auf mich«, beruhigte ich ihn.
»Aber doch nichts Sportliches mehr, oder?«
»Keine Sorge, es hat nichts mit Sport zu tun. Es ist nur ein wenig unlauter.«
»Unlauter?«
»Gesetzwidrig«, erklärte ich.
»Ach so. Dann ist es in Ordnung.«
Ich fasste ihn erneut unter den Achseln. Diesmal kam er mir schwerer vor als zuvor. Ich schaute in sein schweißnasses Gesicht und machte mir ernsthaft Sorgen.
Dann hatten wir den nächststehenden Bus erreicht. Der Fahrer stand rund zehn Meter entfernt. Er hatte sich immer noch nicht umgedreht.
Die Tür gegenüber dem Fahrersitz stand offen. Ich half Ollie hinein und ließ ihn auf dem erstbesten Platz niedersinken. Er stöhnte auf vor Schmerzen.
Ich schaute durch die Fensterscheibe nach draußen. Der Fahrer rührte sich immer noch nicht. Dafür sah ich einen schwarzen BMW auf den Parkplatz fahren. Im ersten Moment glaubte ich an ein Déjà-vu-Erlebnis: Er war genauso glänzend schwarz wie derjenige, der uns verfolgt hatte. Er hatte getönte Scheiben und war so tief gelegt, dass ich jeden Augenblick befürchtete, er würde Funken schlagen.
Ich zögerte keine Sekunde. Mit einem Blick vergewisserte ich mich, dass der Zündschlüssel im Schloss steckte.
»Du willst doch nicht allen Ernstes …?«, begann Ollie mit ungläubigem Blick.
»Ich habe doch gesagt, es wird ein bisschen ungesetzlich. Du kannst aber gern aussteigen und dich den Herren da draußen vorstellen.«
Ich raffte meine rudimentären Kenntnisse zusammen, die zum Führen eines größeren Wagens als eines Pkw notwendig waren. In grauer Vorzeit hatte ich während meiner Grundwehrdienstzeit einen Lkw-Führerschein gemacht. Ein Bus war allerdings ein ganz anderes Thema.
Die vier Leute, die aus dem BMW stiegen, ließen mich meine Bedenken ob meiner Fahrkünste jedoch schnell vergessen.
Es waren drei Männer und eine Frau. Ich konnte nur vermuten, dass es sich um Sares Verwandtschaft handelte.
Zwei der Männer waren schon älter. Sie trugen einen schwarzen Anzug. Nach der geplatzten Hochzeit schienen sie ihre Kleidung nicht mehr gewechselt zu haben. Der dritte war um die zwanzig. Er war klein und stämmig und brachte bestimmt einhundertfünfzig Kilo auf die Waage. Der weiße Trainingsanzug schien ihm ein paar Nummern zu klein zu sein. Die vierte Person war eine Frau. Sie war groß und schlank und hatte blond gefärbte, nackenlange Haare. Ihre Gesichtszüge wirkten selbst aus der Entfernung auf klassische Weise anziehend. Der Schönheitsfehler war die rote Narbe, die von der Stirn bis zum Kinn quer über das Gesicht verlief.
»Das ist Gülistan«, flüsterte Ollie. Eigentlich hätte er nicht flüstern müssen. Die Szenerie fand etwa zwanzig Meter entfernt statt. Wahrscheinlich hatte er Respekt vor ihr.
»Gülistan? Du kennst die Frau?«
»Wegen ihrer Narbe. Sare hat mich vor ihr gewarnt. Es ist ihre älteste Schwester. Auf sie hören alle in der Familie. Sie ist die Patriarchin …«
»Heißt das dann nicht Matriarchin?«
»Es ist mir egal, ob ein Mann oder eine Frau mir ein Messer zwischen die Rippen jagt.«
»Mir nicht. Ich kann auf Gewalt verzichten.«
Gülistans Blick huschte hin und her. Sie spähte zum Bus herüber. Zwei, drei Sekunden betrachtete sie ihn. Ich glaubte sogar auf die Entfernung das Eis in ihren Augen zu spüren.
»Woher stammt die Narbe?«, fragte ich.
»Sare hat mir erzählt, dass sie sich die selbst beigebracht hat …«
»Selbstverstümmelung? Aus welchem Grund?«
»Ihr Verlobter hat sie als Callgirl arbeiten lassen. Sie hat diese Demütigung nicht länger ertragen und sich mit einem Rasiermesser das Gesicht zerschnitten, sodass kein Mann sie mehr ansehen sollte …«
»Und ihr Verlobter?«
»Dem hat sie hinterher was anderes abgeschnitten. Er ist verblutet. Beweisen ließ sich die Tat nicht, weil Gülistans Brüder die Leiche verschwinden ließen.«
Die Männer waren unterdessen zu dem BILD lesenden Fahrer getreten und
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