Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
Grauen. Und als er die Augen aufschlug, saß Lotte an seinem Bett und hielt seine Hand.
»Hätten wir uns sechzig Jahre früher kennengelernt, wäre mein Leben ganz anders verlaufen«, sagt Tewessieker bestimmt.
Sie gefiel ihm, weil sie immer optimistisch in die Zukunft schaute. Sie schenkte ihm, dem seelenlosen Statistiker, ihr Herz.
Außerdem konnte sie gut kochen.
Einmal im Monat habe sie Schweinebraten gemacht, genau so wie damals nach dem Krieg. Und dazu Kartoffeln und frisches Gemüse. Richtig frisches, knackiges Gemüse, nicht so einen zerkochten Brei wie in St. Agnes. Und geduftet habe das … Und er habe die Einkäufe erledigt. Er sei extra immer nach Detmold in die Fleischerei seines Vertrauens gefahren.
Und Lotte habe sich gut verstanden mit dem Koch in St. Agnes. Der habe ihr dann jedes Mal die Küche überlassen.
Das Allerbeste aber sei die frische Suppe gewesen, die sie jedes Mal vor dem Schweinebraten serviert hätte. Die hatte sie selbst angesetzt mit den Knochen und dem Suppenfleisch vom Metzger. Sie hatte es genauso zubereitet wie damals seine Mutter. Das Geheimnis war, das Suppenfleisch nicht in das kalte, sondern in das kochende Wasser zu legen, dann bleibe es besonders saftig. So eine Suppe, die brauche kein Maggi oder sonstige Geschmacksverstärker. Allenfalls etwas Salz und Muskat am Schluss. Und vor dem Servieren etwas Schnittlauch, denn das Auge esse ja auch mit.
Die Lotte habe oft Besuch bekommen. Und dann habe sie sich eines Tages in den Kopf gesetzt, ihrer Freundin Lieschen Maier einen Besuch abzustatten. So eine richtige Freundin war das nicht, dazu war die ja mit ihren fünfundsechzig Jahren oder so viel zu jung. Aber die hatten eine Art Verhältnis wie eine Tante zu ihrer Nichte gehabt und sich schon das ganze Leben gekannt.
»Gab es einen Grund, warum Frau Unverzagt Frau Maier besuchen wollte?«
Alfons Tewessieker beugt sich über den Tisch ganz nah zu mir. Ich nehme seinen schlechten Atem wahr und das Mottenpulver, nach dem sein Jackett riecht.
Er flüstert nun. So leise, dass ich Mühe habe, ihn überhaupt zu verstehen:
»Wegen den Strahlen.«
»Den Strahlen?«
»Die behandeln uns mit Strahlen, damit sie unsere Gedanken lesen und uns noch besser manipulieren können.«
»Aha«, sage ich.
11.
Norbert ging in seinem Büro auf und ab. Er nervte mich damit. Allerdings war seine Erregung nicht gespielt. Sie war echt.
Norbert Decarli ist Polizeibeamter mit Leib und Seele. Kurz nach dem Abitur hatte es ihn nach Hamburg gezogen. Er hatte das Abenteuer gesucht und bei der Polizei zunächst nicht gefunden: Zweieinhalb Jahre Polizeischule und anschließend zwei Jahre Bereitschaftspolizei in einer Hundertschaft – das war nicht der Kick, den er gesucht hatte. Streife zu fahren, um entlaufene Hündchen zurückzubringen, Schlägereien unter Betrunkenen zu schlichten oder Falschparkern Knöllchen hinter den Scheibenwischer zu klemmen, das war nicht sein Ding gewesen. Er hatte die Zeit trotzdem irgendwie rumgekriegt.
Dafür wurde er belohnt. Die drei Jahre als Zivilfahnder hatten ihn geprägt: Er war immer da unterwegs gewesen, wo viele Straftaten stattfanden, er hatte Autobrände, Einbrüche, Drogendelikte aufgeklärt. Ein Jahr lang hatte er undercover bei den Hell’s Angels als Supporter ermittelt.
Danach war es für ihn als Zivilfahnder zu gefährlich geworden. Man hatte ihn aus dem Verkehr gezogen und ihm geraten, in ein anderes Bundesland zu wechseln. Also hatte er wieder seine Heimat Ostwestfalen angesteuert, hatte sich auf ein auf zwei Jahre verkürztes Studium eingelassen und war danach Sachbearbeiter für Diebstahlsdelikte geworden. Seit drei Jahren war er bei der Mordkommission und wartete auf seine Beförderung zum Kriminaloberkommissar.
Ich hatte mit Norbert Decarli die Schulbank gedrückt. Von der ersten Klasse bis zum Abitur waren wir durch dick und dünn gegangen. Wir hatten sogar dasselbe Schuljahr wiederholt – in der Untertertia. Und wir hatten es aus demselben Grund vergeigt: Weil wir uns in dieselben Mädchen verliebt hatten. Aber das ist eine andere Geschichte.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte er nun.
Er hatte dieselbe Frage bereits vor zehn Minuten gestellt, in etwas anderen Worten. Aber anstatt meine Antwort abzuwarten, war er wild auf und ab gegangen und hatte eine Wutrede vom Stapel gelassen – von wegen, die gefährlichen Dinge im Leben doch den Leuten zu überlassen, die von Berufs wegen etwas davon verstehen.
Ich saß auf dem
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