Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
Wohngelände für die Leprakranken lag westlich der Stadt an der großen Straße nach Aachen. Er war unter die Aussätzigen geraten.
Man nannte sie die lebenden Toten. An Lepra zu erkranken, hieß, für die Welt gestorben zu sein, weggebracht zu werden von den Verwandten und Freunden und nicht mehr an ihrem Leben teilnehmen zu dürfen. Die Gesetze waren unerbittlich. Leprose wurden in einem rituellen kirchlichen Verfahren, mit Begängnis und Commendation, aus der Gemeinde ausgesegnet wie Verstorbene. Danach begann ihr Leben abseits der Zivilisation in der Gemeinde der Aussätzigen. Jeder Kontakt zu den Gesunden war ihnen bei Strafe untersagt, ob in der Kirche, auf dem Markt, im Wirtshaus, in der Mühle, am Backofen, in Volksversammlungen. Sie durften ihre Hände nicht in Quellen mit fließendem Wasser waschen. Wollten sie etwas kaufen, durften sie den Gegenstand nicht mit der Hand berühren, bis sie ihn erworben hatten. Geschah es doch, daß sie mit einem Gesunden sprachen, mußten sie ihm aus dem Wind gehen. Das Gelände der Leprosorie durften sie nur mit Genehmigung des Hospitalmeisters verlassen, die Stadt nur an wenigen Tagen im Jahr zum Betteln besuchen, kenntlich gemacht durch Joppe und Kniehose, den bis zu den Knien reichenden weißen Siechenmantel, weiße Handschuhe, einen großen Hut und die Klapper, eine lärmende Holzrassel, damit man sie kommen hörte.
Sie waren die Toten, die den Tod noch vor sich hatten. Die Leprosen starben zweimal. Ausgestoßen und mit nichts zurückgelassen als ihrer Hoffnung auf das Himmelreich. Wer vermögend genug war, kaufte sich in ein Leprosenhaus wie Melaten ein, eines der größten im deutschen Reich,
die anderen bauten sich auf eigens dafür zugewiesenen Grundstücken primitive Hütten oder wanderten durchs Land. Sie hatten alles Mitleid der Welt auf ihrer Seite. Es wurde nur übertroffen von der Abscheu. Jacop fröstelte. Er zog seine Kutte um den Körper und verschränkte die Arme.
»Verzeiht, aber –« Er schielte zu dem Tor hinüber.
»Seid Ihr mit dem Wagen eingetroffen?« fragte der Mann.
»Ja, ich –«
»Dann seid Ihr der Pfarrer, den man uns schicken wollte! Dem heiligen Dionysius sei Dank. Kommt, Vater, er liegt im letzten Haus. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt.« Sie hielten ihn für einen Geistlichen. Auch das noch! Sollte er einem von ihnen die letzte Ölung erteilen?
»Ich muß eigentlich wieder gehen«, sagte Jacop hilflos.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Es wird ja nicht lange dauern, aber wer soll für ihn beten?«
»Beten? Ich bin kein – nein, wartet.« Jacop rieb sich die Augen und überlegte. Er trug eine Kutte, also war er ein Mönch. Würden sie ihn fortlassen, wenn er zugab, jemand anderer zu sein?
Irgendwie würde er sich schon aus der Situation herauslavieren. »Gut«, sagte er. »Gehen wir hinüber.«
»Nein!« erscholl eine wohlbekannte Stimme.
Jacop fuhr herum.
»Jaspar!« rief er, mindestens so verblüfft wie dankbar.
»Ich werde das übernehmen«, sagte Jaspar ungerührt. »Du bist schon vor mir eingetroffen? Bist du wieder heimlich irgendwo mitgefahren? Na, egal. Warte hier. Er ist mein Novize«, erklärte er dem Mann. »Leider ein wenig schreckhaft und auch nicht ganz richtig in seiner hohlen Nuß von Kopf. Ständig vergißt er alles, manchmal sogar seinen Namen.«
»Ein wenig alt für einen Novizen ist er aber auch«, meinte der Mann zögernd und mit einem Seitenblick auf Jacop. »Ja, wegen seiner geringen Intelligenz. Da wird er nie was anderes werden.«
Jacops Kinnlade sank herunter.
»He, Jaspar! Was soll das?«
»Halt den Mund und warte hier, hörst du? Lauf nicht weg und rede nicht mit den Leuten, bis ich zurück bin.«
»Aber –«
»Keine Widerrede! Setz dich rüber an die Mauer.« Jacop sah ihm sprachlos nach, wie er an der Seite des Mannes und einiger anderer zu den Gebäuden ging und im letzten verschwand. Die verbliebenen Kranken wandten sich ab und gingen ihrer Wege. Jacop blieb alleine zurück. Kopfschüttelnd ließ er sich an der Kirchenwand nieder und betrachtete wieder seine aufgerissenen Finger.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Jaspar endlich zurückkam. Er war wieder in Begleitung des Mannes von vorhin.
»Ich bin froh, daß er es überstanden hat«, hörte Jacop ihn sagen.
»Die Gnade des Herrn ist unermeßlich, und seine Wege sind uns ein Mysterium«, antwortete Jaspar fromm. »Friede seiner Seele, und betet für ihn in der Nacht. Er ist ein Kind des ewigen Lebens. Aber sein Weg wird
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