Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
stießen sie an die Mauer und besaßen teils schmale Durchgänge zum Ufer. Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte in den Sommermonaten dort geheimes Treiben, weil das Werthchen Liebespaaren als romantisches Versteck diente. Man konnte beieinanderliegen und den Sternenhimmel genießen, während von den Silhouetten der Schiffe leises Knarren ausging, vermischt mit dem schläfrigen Plätschern des Stroms. Auf dem Wasser floß das Mondlicht dahin wie geschmolzenes Silber, und im Hintergrund waren eben noch der Bayenturm und die Spitzen von St. Severin zu erahnen, mit dem Finger nachzuzeichnen und doch fast schon jenseits der Grenze zur Unwirklichkeit. Rheinau war die Insel der Phantasie. Hier war alles erlaubt, sofern es niemand mitbekam, und man fand sich in den absonderlichsten Konstellationen ein, zahlreich und doch ohne einander zu stören. Es war ein schöner und friedlicher Ort.
Oder auch nicht.
Kuno huschte am inneren Ring der Mauer entlang, während ihm der Sturm durch die Bayenstraße entgegenraste und das Wasser von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien, von oben, unten, hinten und vorne. Die Sintflut mochte ähnlich angefangen haben. Bis jetzt hatten sie in Köln schöne Tage gehabt, trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, aber in dieser Nacht würde die große Wende eintreten. Es war kein warmer Regen mehr, keines der schwülen Gewitter, das die Luft nur für die Dauer weniger Stunden reinigte. Der Himmel schickte eine Vorahnung von Frost, der Wind brachte die eisige Kälte der Nordmeere mit. Auch diesen Winter würde der Rhein wieder zufrieren, und sie könnten zu Fuß hinüber zum Kastell Deutz gehen.
Seltsam, überlegte Kuno, warum denke ich ausgerechnet jetzt daran? Ich würde gern noch einmal zum Kastell gehen. Ich würde gern wieder den Schnee sehen auf den Zinnen und Türmen, Schrägdächern und Mauerkronen der Kirchen, Kapellen und Abteien, auf den Bäumen der Obstgärten und auf dem Forum, wenn die Leute vorsichtig zwischen den Ständen herumstapfen, sorgsam darauf bedacht, nicht auszurutschen und das Gelächter der anderen auf sich zu ziehen.
Er schüttelte sich im Regen wie ein Hund. Links vor ihm begann die triste Reihe der alten Lagerhäuser. Es gab Wichtigeres zu tun, als Erinnerungen nachzuhängen.
Einige der zur Dreikönigenpforte hin gelegenen Lager besaßen eine Umfriedung und einen Vorhof, zum Teil hinter fauligen, aber schweren Holztoren verborgen, die man als einzelner kaum öffnen konnte. Kuno nahm sich zuerst die anderen Gebäude vor. Es waren mehr, als er gedacht hatte. Schon das erste erwies sich als verschlossen. Er versuchte, durch die Fensteröffnungen hineinzuspähen. Sie lagen zu hoch für ihn, er mußte klettern. Die Außenmauern waren schlüpfrig vom Regen. Mehrfach rutschte er ab, dann gelang es ihm mit einiger Mühe, hinaufzukommen, nur um in undurchdringliche Schwärze zu starren.
»Ist jemand hier?«
Das Echo seiner Stimme verband sich mit dem Heulen des Sturms zu einem geisterhaften Choral. Er zog sich höher, schwang die Beine über den Rand und ließ sich auf der anderen Seite herunterfallen. Aus seinem Gürtel zog er eine Fackel, entzündete sie und sah sich im Schein des Feuers um. In den Winkeln des Gemäuers liefen aufgeregt ein paar Ratten durcheinander. Sonst war hier niemand.
Noch einmal den Weg durch das Fenster zu nehmen, gefiel ihm nicht. Die Tür war von innen mit einem Balken verriegelt worden, wozu auch immer. Er stemmte ihn hoch und gelangte zu ebener Erde wieder hinaus auf die Bayenstraße. Unglücklich wanderte sein Blick die stummen, schwarzen Fassaden entlang. Zwischen den dahinjagenden Schauern war der Bayenturm schon nicht mehr auszumachen. Die ganze Strecke hatte er noch vor sich, und er war jetzt schon durchnäßt bis auf die Knochen.
Und wenn Daniel ihn belogen hatte? Womöglich saß er jetzt im Warmen, trank noch mehr Wein und lachte sich halbtot.
Wenn, wenn –
Kuno lief geduckt zum nächsten Lager. Diesmal ging es einfacher, es war überhaupt keine Tür mehr da, nur rostige Scharniere, halb herausgerissen. Aber auch hier war niemand.
Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als endlich das erste Gebäude mit Hof vor ihm lag und damit die Aufgabe, hineinzugelangen. Er würde wieder klettern müssen. Seine Finger schmerzten, aber es half alles nichts. Das Portal war fest verschlossen. Er tastete nach Mauervorsprüngen, fand endlich eine Stelle, griff zwischen die Ziegel und begann erneut die mühsame Kraxelei. Aber weder im
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