Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
und jeder, sei er Sklave der Vernunft oder des Glaubens, ist auf seine Weise blind. Die Christenheit verzehrt sich in einem Krieg, der von Blinden ausgetragen wird. Das ist es, was die Zisterzienser, was Bernhard oder Wilhelm von Saint-Thierry unter der Ohnmacht des sündigen Menschen verstehen, daß er gar nicht handeln könne, weil Gott nicht gewollt habe, daß er handelt. Weil jede eigenmächtige, selbstverantwortliche Handlung eine Verleumdung des allmächtigen Gottes und damit Ketzerei darstelle, und weil, wer nicht handeln könne, ruhig blind sein darf, ja, sogar muß! Aber wollte man diesen Gedanken folgerichtig zu Ende denken, dürften die Blinden nichts Eigenes unternehmen und nichts entscheiden, sie dürften keine Sehenden oder andere Blinden auf den Scheiterhaufen bringen, keine Kriege führen, nicht öffentlich lehren, sie dürften rein logisch gesehen gar nicht existieren. Aber sie tun es doch, sie sprechen von der Ohnmacht und praktizieren Macht, sie bekennen Demut und demütigen andere. Welch eine Schwachheit des Geistes! Das, Füchschen, das ist der Teufel, an den ich glaube!«
Jacop versuchte, das zu verdauen.
»Wenn so der Teufel aussieht«, sagte er langsam, »wer oder was ist dann Gott?«
Jaspar antwortete ihm nicht sofort. Als er es tat, lag milder Spott in seiner Stimme.
»Woher soll ich wissen, wer Gott ist?«
»Nein, ich meine – ich dachte immer, Gott und Teufel sind –« Er rang nach Worten.
»Ihr denkt, Gott und Teufel sind irgendwie Personen.«
»Ja!«
»Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Ich kann Euch nur sagen, was Gott für mich ist, wenn Eure Frage darauf abzielt. Abaelardus vertrat die
Auffassung, daß der Mensch entscheiden kann zwischen Sünde und Nichtsünde. Er hat die Wahl. Natürlich wird er nie, wie Ihr eben so steinerweichend geseufzt habt, etwas rückgängig machen können, aber er kann sich zu seinen Handlungen bekennen und die Verantwortung dafür übernehmen. Begreift Ihr, was das heißt? Alles ist gottgemacht, aber vielleicht ist nicht alles gottgewollt. Vielleicht will Gott, daß wir selber wollen, daß wir nicht blind sind, daß wir seine Gedanken fortentwickeln, weil wir seine Gedanken sind. Wenn Gott in allem ist, und wir sind ergo Gott, dann wäre unsere Ohnmacht auch die Ohnmacht Gottes, und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Aber wenn Gott das Schöpferische ist, dann müssen auch wir schöpferisch sein, um seinen Willen zu erfüllen, dann müssen wir verantworten, was wir tun. Gott ist die Allianz zwischen der Schönheit des Glaubens und der Vernunft, das, was der Scholast die ratio fide illustrata nennt. Er ist die Harmonie, das Verbindende und nicht das Trennende, das schöpferische Fortschreiten in der Zeit. Aber zuallererst ist Gott der freie Wille der gesamten Schöpfung, die sich selber immer wieder neu erschafft, und der freie Wille eines jeden einzelnen. Und darum könnt Ihr immer noch umkehren, Jacop. Ihr habt Euch der Vergangenheit gestellt. Man kann Sünden vergeben. Vergebt Euch. Flieht nicht länger, es gibt Menschen, die Euch brauchen.«
Der Regen prasselte leise auf den Schuppen. Jacop lauschte dem Geräusch, als höre er es zum ersten Mal. Er hatte das Gefühl, als müsse er hinaus und die Welt überhaupt erst entdecken.
»Danke«, sagte er leise.
»Nichts zu danken, Füchschen. Aber jetzt laßt mich ein Stündchen schlafen, seid so freundlich.«
»Schlafen?« entfuhr es Jacop überrascht. »Jetzt?«
»Ja. Warum nicht?«
»Wir müssen etwas unternehmen, Urquhart wird –«
»Urquhart wird seine Wunden lecken. Es ist mitten in der Nacht. Wollt Ihr Konrad aus dem Bett holen? Wir haben weiß Gott ein bißchen Ruhe nötig. Keine Angst, ich werde Euch zur rechten Zeit wecken.«
Jacop legte sich zögernd auf den Rücken.
»Ich kann aber nicht schlafen«, sagte er.
»Schade.«
Wie soll ich schlafen, dachte er, nach allem, was passiert ist? Ich werde wachliegen, und irgendwann wird Jaspar anfangen zu schnarchen, und ich werde noch weniger einschlafen können. Wir sollten die Zeit nutzen!
Seine Gedanken wanderten zu Richmodis.
Ich werde nicht schlafen, dachte er.
Jacop
»Wacht auf!« Jemand rüttelte ihn. Einen Moment lang wähnte er sich in seinem Mauerbogen, dann fuhr er hoch. Immer noch war alles dunkel, aber er erkannte schwach Jaspars Silhouette. Der Physikus lachte.
»So, Ihr seid also der Bursche, der nicht schlafen kann.«
»Wie spät ist es?«
»Kurz nach Laudes. In zwei Stunden wird die
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