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Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Titel: Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Ich will überhaupt nichts wissen.«
    Eine Weile lagen sie still da. Jacop lauschte auf das Klopfen seines Herzens, und es schien lauter zu werden, bis es wie von Hämmerschlägen in ihm dröhnte.
    Plötzlich stellte er fest, daß er weinte.
    Er war verwundert und beglückt zugleich. Hatte er je Tränen vergossen? Er konnte sich nicht erinnern. Von einer stürmischen Trauer durchflutet, überfließend vor Unglück, verspürte er zugleich grenzenlose Erleichterung. Voller Neugier und Ratlosigkeit gab er sich der neuen Erfahrung hin, heulte und schniefte, und das Weinen war, als nähre sein Kummer ein strahlendes, hochaufloderndes Feuer, in dem er allmählich verging, während eine neue, unbekannte Kraft in seinen Adern zu pulsieren begann. Er sah eine alte, zu lange verschwiegene Geschichte an sich vorüberziehen, und mit jedem Bild, jedem Laut, jeder Empfindung schmolz seine Angst ein wenig dahin und wich dem Wunsch nach einem Zuhause.
    Jaspar ließ ihn in Ruhe.
    Nach einer halben Ewigkeit, wie es Jacop schien, waren die Tränen endgültig versiegt. Er starrte in die Dunkelheit und stellte fest, daß sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Eigentlich fühlte er sich gar nicht übel.
    »Jaspar?« Seine Stimme war zittrig. Keine Spur von Entschlossenheit und Stärke mehr. Es war ihm egal.
    »Jaspar, als ich damals zurückgekommen bin – ich meine, als Kind zum Haus meines Vaters – ich habe Euch erzählt, es sei nur noch eine qualmende Ruine übriggewesen, sonst nichts.« Er machte eine Pause. »Aber da war noch etwas anderes.«
    »Ich weiß«, sagte Jaspar gelassen.
    »Ihr wißt davon?« rief Jacop überrascht.
    »Nein, Füchschen. Ich weiß im Grunde gar nichts, nur, daß Ihr Euch an alles erinnern konntet, was vor diesem Tag geschehen ist. Oder erinnern wolltet. An jede Kleinigkeit. Ein aufgeweckter Bursche seid Ihr gewesen. Ihr seid es immer noch, aber eines Tages habt Ihr einen Haufen Trümmer gesehen und die Flucht ergriffen. Von da an wurde Euer Leben zu einem verwischten Eindruck, fast, als sei es das eines anderen. Ich dachte vorgestern, als wir erstmals zusammensaßen, wenn er weiterhin so ausholt in seinen Erinnerungen, wird mein Weinkeller wohl darüber hingehen. Und dann endete plötzlich alles an einer Ruine, und den Rest beschriebt Ihr mit ein paar nichtssagenden Kalligraphien. Ihr habt etwas gesehen damals, nicht wahr? Etwas, das Euch bis heute verfolgt. Als Ihr Euch von der zerstörten Hütte abwandtet, hat Eure Flucht begonnen, aber sie hat nie aufgehört. Egal, wovor Ihr in all den Jahren geflohen seid, vor den Gewaltrichtern, vor den Frauen, vor der Verantwortung, im Grunde lauft Ihr immer nur vor dieser Hütte weg. Und auch, wenn Ihr jetzt Reißaus nehmen würdet, wäre es die Hütte.«
    »Woher wißt Ihr das alles? Ihr kennt mich kaum.« »Doch, ich kenne Euch ganz gut. Ich erkenne andere in Euch, Füchschen. Was habt Ihr damals gesehen?« Jacop setzte sich langsam auf und starrte in die Dunkelheit, aber er erblickte etwas anderes. Eine Landschaft, Felder, eine Rauchsäule –
    »Meinen Vater und meinen Bruder«, sagte er.
    »Waren sie tot?«
    »Sie lagen vor der Hütte. Es sah so aus, als hätte man sie niedergemacht. Ich stand ein ganzes Stück weit weg und fühlte mich außerstande, noch einen weiteren Schritt zu tun. Ich war zu feige, zu ihnen zu gehen und ihnen ins Gesicht zu sehen, aus Angst, ihren Tod bestätigt zu finden. Ich dachte, wenn du wegschaust, alles einfach ganz schnell vergißt, dann wird es eben nicht passiert sein. Alles einfach leugnen.« Er schluckte schwer. »Dann habe ich mich abgewandt. Und da, als ich den Blick von ihnen nahm, glaubte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung gesehen zu haben, als hätte mein Vater mir zugewunken.«
    »Und Ihr seid trotzdem losgerannt.«
    »Ja. Ich hatte nicht den Mut, hinzugehen. Ich werde nie erfahren, ob ich vor zwei Toten geflohen bin, oder ob ich mit meiner Angst jemanden zum Tode verurteilt habe, dem ich hätte helfen können. Ich wollte mich nicht davon überzeugen, daß sie tot sind, und darum konnte ich mich auch nicht überzeugen, ob sie vielleicht noch lebten.«
    »Träumt Ihr manchmal davon?«
    »Selten. Aber wenn, dann sehe ich das Winken. Manchmal ist es das verzweifelte Winken eines Sterbenden. Dann wieder, als entrichteten mir die Toten einen höhnischen Abschiedsgruß. Das ist die Wahrheit, Jaspar. Ich habe sie im Stich gelassen, und ich frage mich unablässig, was wäre, wenn

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