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Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Titel: Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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dem Gerüst sein. Unter Schmerzen zog sich Jacop an dem Rad hoch und kam schwankend auf die Beine. Urquhart sprang über die Bretter zum Rand des Gerüsts und sah hinab in die Dranckgasse. Zugleich erschien Jaspars Kopf ein Stück weiter.
    »Aber du konntest es nicht verhindern«, rief er.
    Mit einem wütenden Aufschrei wirbelte Urquhart in seine Richtung. Jaspar war schon wieder verschwunden. »Du lügst«, schrie er zurück. »Ich war nicht dabei, als das passierte!« Weiter unten erklangen trappelnde Geräusche wie von laufenden Füßen.
    Sie entfernten sich. Urquhart machte einen Schritt vorwärts, aber da war nichts mehr, kein Brett und kein Gestänge. Er zuckte zurück.
    Dann drehte er sich wieder zu Jacop um.
    Die Kälte war aus seinem Blick gewichen. Nacktes Grauen stand darin. Der Bolzen in seiner Waffe wies genau auf Jacops Stirn. »Träumst du manchmal von den Kindern?« schallte Jaspars Stimme über das Dach.
    Urquharts Hand begann zu zittern. Im nächsten Moment rannte er die Plattform entlang, fort von Jacop, übersprang die Kluft zum nächsten Gerüstboden, hastete bis an den Dachrand – und taumelte. Sein Körper krümmte sich. Er ließ die Armbrust sinken und hob die freie Hand zum Kopf.
    Jacop hielt den Atem an.
    Direkt vor Urquhart tauchte Jaspar auf den Sprossen auf. Seine Haltung war aufs äußerste gespannt. Er warf Jacop einen raschen Blick zu und kletterte langsam auf die Empore. In seinen Augen spiegelte sich eine Höllenangst, aber seine Stimme war fest und jedes Wort wie ein Schwerthieb.
    »Du bist Urquhart, der Fürst von Monadhliath«, sagte er.
    Urquhart wich einen Schritt zurück.
    »Du bist aus dem schottischen Hochgebirge herabgestiegen und hast dich Ludwig dem Franzosen zum sechsten Kreuzzug angeschlossen. Die Auld Alliance, Urquhart. Du wolltest dem Herrn deinem Gott dienen und das heilige Land zurückerobern, aber was du gesehen hast, als Ihr Damiette eingenommen hattet, war das Antlitz des Satans.«
    Urquhart rührte sich nicht.
    »Denk an Damiette!«
    Ungläubig sah Jacop, wie Jaspar neben die riesige Gestalt trat und langsam die Hand ausstreckte. Er mußte den Verstand verloren haben!
    »Ihr habt die Ägypter niedergemetzelt. Erst die Männer. Dann sind Ludwigs Soldaten über die Frauen hergefallen. Du wolltest es nicht, ich weiß es, Urquhart, du wolltest den Namen Gottes nicht entehren, du hast all deinen Einfluß geltend gemacht, aber umsonst. Du kamst zu spät.« Er
    machte eine Pause. »Und dann haben Ludwigs Schergen die Kinder zusammengetrieben, weißt du noch?«
    »Nein«, murmelte Urquhart.
    Jetzt zitterte auch Jaspars Hand. Er griff nach der Armbrust. Urquardt stöhnte auf und machte einen Satz zurück. Es war ein groteskes Bild, als führten die beiden ungleichen Gestalten dort am Rande des Abgrunds einen geheimnisvollen heidnischen Tanz auf. »Erinnere dich an die Kinder«, wiederholte Jaspar. »Die Soldaten haben ihnen –«
    »Nein. Nein!«
    »Hör mir zu! Du sollst mir zuhören.« Jaspar ballte die Fäuste und kam näher. »So wie du zuhören mußtest, als sich der Franzosenkönig lustig machte über ihr Wimmern, als er sagte, es erinnere ihn an den Gesang von Möwen, so wie du zusehen mußtest, als die Schwerter heruntersausten und sie in Stücke hieben und ihnen die Bäuche aufschlitzten, und die Kinder haben gelebt, Urquhart, sie haben gelebt, und der Wahnsinn hat dich darüber erfaßt, und –«
    Aus Urquharts Kehle entrang sich ein Schrei, wie Jacop nie zuvor einen Menschen hatte schreien hören.
    Der Physikus griff nach der Armbrust.
    Er erreichte sie nicht.
    Jacop sah, wie Urquhart sich aufrichtete. Alles schien sich mit quälender Langsamkeit zu vollziehen. Sein Arm hob sich, die Spitze des Bolzens wanderte höher, und in Jaspars Augen trat die Erkenntnis, daß er verloren hatte.
    Sein Gesicht entspannte sich. Lächelnd richtete er den Blick zum Himmel.
    Er fügte sich.
    Jaspar hatte aufgegeben.
    Es war zu absurd, um hingenommen zu werden. Kein Laut kam über Jacops Lippen, als er loslief. Er vergaß seine Schmerzen. Er vergaß seine Angst. Er vergaß alles, was in den letzten Tagen geschehen war. Er vergaß Goddert und Richmodis, Maria, Tilman, Rolof und Kuno.
    Dann vergaß er die rauchende Hütte, seinen Vater und seinen Bruder.
    Er sah nur Urquhart und Jaspar.
    Mit langen Schritten hielt er auf sie zu. Zwischen seinen Herzschlägen schienen sich Ewigkeiten zu dehnen. Jahrhunderte zogen vorbei. Wie in einem Traum schwebte Jacop über das Hochgrüst,

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