Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
anderen gehört, die sahen, wie Gerhard einen Fehltritt beging. Vielleicht den einzigen in seinem Leben.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber Gott hat ihn dafür vor seinen Thron gerufen. Und wie viele Fehltritte begehen wir? Manchmal weiß ich nicht, wozu wir auf der Welt sind.«
»Augenblick mal.« Jacop setzte sich auf. »Welche anderen?«
»Was?« Maria schien verwirrt.
»Du sagtest, andere haben gesehen, wie Gerhard einen Fehltritt beging.«
»Ja.«
»Welche anderen?«
Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Na, die anderen halt. Die Leute.« »Welche Leute?« »Himmel, Jacop! Was ist denn daran so wichtig?« Jacop fuhr sich mit der Hand über die Augen. Die Leute – »Maria«, sagte er ruhig, »es gibt also Zeugen, die gesehen haben, wie Gerhard durch eigene Unachtsamkeit in den Tod stürzte. Ist das richtig?«
»Aber ja!«
»Nein!« Jacop schüttelte heftig den Kopf und sprang vom Bett. »Das ist nicht richtig.«
»Was willst du damit andeuten?« erkundigte sich Tilman, mußte wieder
husten und versuchte, es zu unterdrücken, was fürchterliche Laute in seinem Innern verursachte.
Jacop legte die Finger an seine Schläfen und schloß die Augen. Vor seinem Geist wurde alles wieder lebendig, Gerhards Schrei, der Schatten, der Sturz und seine letzten Worte, die ihm wie ins Hirn gebrannt waren.
»Das ist nicht richtig«, wiederholte er. »Der Dombaumeister Gerhard Morart, soweit wir denselben meinen, ist nicht durch Unvorsichtigkeit zu Tode gekommen, sondern wurde ermordet. Und keiner hat es gesehen außer mir. Da war niemand.« Er machte eine Pause, atmete tief durch und öffnete die Augen wieder.
Beide, Maria und Tilman, starrten ihn an.
»Ich dachte, ich wäre betrunken, nicht du«, bemerkte Tilman.
»Gerhard wurde umgebracht«, erregte sich Jacop. »Ich war dabei! Ich saß in diesem vermaledeiten Apfelbaum, als dieses schwarze Ding auf dem Gerüst auftauchte und ihn in die Tiefe stieß.«
Immer noch hing atemlose Stille in der Kammer.
»Verdammt, es war so!!!«
Maria begann zu kichern.
»Du Spinner.«
»Was verzapfst du als nächstes?« hustete Tilman. »Daß der Teufel ihn geholt hat?«
»Halt die Schnauze!« fuhr ihn Maria an. »Du hast hier gar nichts zu sagen, du unablässig kotzendes Nachtgespenst.«
»Ich –«
»Nicht hier!« Jacop hörte ihre Stimmen wie durch Watte. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht, daß sie ihm nicht glaubten.
»– habe mich nicht darum gerissen, in deiner Hurenkammer rumzusitzen«, schrie Tilman gerade, »das war Jacops Idee. Bevor ich von dir was nehme, will ich lieber –«
»– hätte Jacop niemals zugelassen, du hast ihn eingeseift mit deinem lächerlichen Husten«, fuhr ihm Maria wutentbrannt dazwischen. »Was du lächerlich nennst, wird mein Tod sein!«
»Ja, je eher, je lieber, aber in Wahrheit geht es dir ja besser als uns allen.«
»Herr steh mir bei! Jacop, ich gehe. Ich will lieber sterben als mich von deiner Hure abkanzeln lassen –«
»Nenn mich nicht Hure«, kreischte Maria. »Wenn du doch eine bist!«
»Nicht du. Ich mag eine sein, aber bevor ich für dich die Beine breitmache, will ich lieber aus der Kloake trinken!« »Das wäre eine gute Idee, da gäbe es reichlich für dich zu tun, du zahnloses Miststück, du abgehalfterter Versuch einer Versuchung –«
»Zerbrich dir bloß nicht die Zunge!«
»Elende Vettel, ich will nichts mehr hören, und schon gar nicht diese Geschichten vom Teufel!« Tilman sprang auf und stürmte zur Tür, wo er unvermittelt in die Knie ging. Jacop eilte hinzu und faßte ihn unter den Armen.
»Wirf ihn raus«, forderte Maria.
»Nein.« Jacop schüttelte den Kopf. »Er ist krank, siehst du das nicht?« Maria kroch auf ihr Bett und kauerte sich dort zusammen.
»Er soll gehen.« Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Tilman keuchte schwer. Auf seiner Oberlippe glänzte eiskalter Schweiß.
»Er ist krank, Maria«, wiederholte Jacop sanft. Sie streckte beide Arme aus und spreizte die Finger wie Krallen. »Dann geh meinetwegen du. Hau ab!«
»Maria –«
»Ich will dich nicht mehr sehen!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. »Maria, ich –«
»Raus!!!« Jacop senkte den Kopf.
Urquhart
Mittlerweile regnete es in Strömen. Jede Betriebsamkeit auf dem Berlich war zum Erliegen gekommen. Hier und da drang Licht durch die Ritzen der geschlossenen Läden.
Urquhart wartete.
Plötzlich öffnete sich die Tür des Hurenhauses, und ein Mann stürmte hinaus und
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