Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
ausgestreckten Hand hielt, erinnerte tatsächlich an eine Armbrust, nur sehr viel kleiner. Seine Kleidung war schwarz wie das Gefieder eines Rabens, die Gesichtszüge kaum erkennbar in der Dunkelheit. Breite Wangenknochen, Brauen wie Hecken, darüber eine hohe Stirn und ein Meer langer, fliegender Haare. Jacop hätte nicht zu sagen gewußt, ob es ein schönes oder abscheuliches Antlitz war. Er spürte etwas Ungezähmtes, Bestialisches in den Bewegungen des anderen. Das Wesen dort vor ihm hatte Gerhard Morart, Tilman und Maria getötet. Wenn es der Teufel war, blieb Jacop nicht einmal Zeit zu einem letzten Gebet.
Aber wenn es ein Mensch war — welche Hexe auch immer ihn gezeugt und mit Hilfe des Leibhaftigen großgezogen hatte! – konnte man ihn überlisten. Sogar der Teufel war schon überlistet worden.
Und wenn du ein Tier bist, dachte Jacop grimmig, dann erst recht. Ich bin auch ein Tier. Ich bin der Fuchs!
Er wartete auf den Zusammenprall.
Er blieb aus.
Sein Gegner breitete stattdessen die Arme aus und stieß sich ab. Jacop sah den schwarzen Umhang vor sich aufsteigen, höher und höher, spürte den Stoff rauh sein Gesicht berühren, als der Riese mit einem gewaltigen Satz über ihn hinwegsprang.
Niemand sprang so hoch. Egal.
Außer Atem rannte er aus der Sackgasse heraus und um die nächste Ecke zum Rhein herunter. Hinter sich hörte er den anderen die Verfolgung wieder aufnehmen. Jacop drehte den Kopf, erwartete, ihn dicht auf seinen Fersen zu sehen, aber sein Vorsprung war offensichtlich größer ausgefallen als erwartet. Die Finte war geglückt.
Er bog in eine winzige Gasse ein, von der er wußte, daß sie zum Dom führte, rannte so schnell er konnte, Bäume ringsum und Mauern, links die Anlagen von St. Maximin, dahindämmernd. Um eins begann für die Mönche der Tag. Er würde in ihr Kloster eintreten, schwor er sich, allem entsagen, mit ihnen beten, wenn er nur um eins noch leben und atmen durfte. Äste peitschten ihm gegen Arme und Beine, zerkratzten sein Gesicht. Er merkte nichts davon.
Am Wegesrand tauchte eine Kirche auf, klein und unscheinbar. Ein Mann warf etwas auf den Weg, machte Anstalten, wieder hineinzugehen. Seine Kutte blähte sich im Wind.
»Vater!«
Jacop rutschte vor seine Füße und griff nach seinem Ärmel. Der Mönch erschrak und versuchte, ihn abzuschütteln. Er war dick und kahlköpfig und schnaufte.
»Laßt mich ein«, keuchte Jacop.
Die Äuglein des Bruders funkelten Jacop über die Schweinsbacken hinweg argwöhnisch an. »Dafür ist es zu spät«, schnappte er. »Zu spät?«
»Die Messe ist längst gelesen.« »Bitte laßt mich ein. Nur einen Moment, ich flehe Euch an.«
»Ich sagte doch, das ist unmöglich, mein lieber Sohn, du solltest morgen wiederk –«
»Ehrwürdiger Vater!« Jacop ergriff die Hände des Mannes und drückte sie. »Nehmt mir die Beichte ab. Jetzt sofort! Ihr wißt, daß Ihr mir diese Gnade zu keiner Stunde versagen dürft, es ist Gottes Wille und Gesetz, das wißt Ihr ganz genau!« Er überlegte, ob es wirklich Gottes Wille und Gesetz war. Vielleicht auch nicht. Er kannte sich in klerikalen Dingen nicht sonderlich gut aus, aber den Versuch war es immerhin wert.
Der Mönch hob erstaunt die Brauen. Er schien unschlüssig.
»Nun ja –«
Vom Ende der Gasse erklangen Schritte. Leise, schnell und regelmäßig.
»Vater, bitte!«
»Also gut. Du bist ja sonst nicht fortzukriegen.« Er stieß Jacop unwirsch ins Innere der Kapelle und schloß hinter ihm das Portal. Jacop dachte fieberhaft nach. Wie konnte ihm der andere schon wieder auf den Fersen sein? Woher wußte er, welchen Weg er genommen hatte?
Wie ein Tier, das Witterung aufgenommen hat.
Plötzlich kam ihm eine Idee.
»Weihwasser, Vater. Wo ist Weihwasser?«
Der Dicke schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Weihwasser will er! Wo ist Weihwasser? Wo ist in einer Kirche Weihwasser? Jesus Christus, barmherziger Gott, wann warst du das letzte Mal in einem Gotteshaus? Da!« Sein dicker, kurzer Finger schnellte vor und wies auf ein einfaches, steinernes Becken auf einer Säule. »Da ist Weihwasser. Aber denk jetzt bloß nicht, daß du einfach – He! Was machst du denn da? – Hat der Leibhaftige dir ins Hirn gespien? Das ist kein Tümpel, in dem du baden kannst!!!«
Jacop war zu der Schale getreten, hatte sie heruntergenommen und sich den Inhalt mit einem gewaltigen Schwung über den Kopf gegossen. Wenn er dem Mörder nicht durch Schnelligkeit entkommen konnte, dann vielleicht durch die
Weitere Kostenlose Bücher