Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
grinsten eichene Fratzen mit Astlöchern statt Augen und wurmstichigen Zähnen auf ihn herab, während Cherubim und Seraphim, Nußbaum und Esche in den Flügeln, über sie kamen und die heilige Stadt aus purem Ebenholz am Horizont erglänzte, so herrlich anzusehen, daß es ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb, nicht bei ihrer Befreiung mitzuwirken!
Aber er war nur ein Kind gewesen mit einem Kopf voller Idole.
Jetzt war er beinahe fünfzig, ein ziemlich alter Mann. Er hatte keinen Kreuzzug mitgemacht und doch mehr von der Schöpfung gesehen als viele der selbsternannten Befreier, die alle Welt im Namen Gottes geißelten und
selber schrecklich gegeißelt wurden in seldschukischen Kerkern und petschenegischen Folterverliesen und deren Köpfe auf endlosen Lanzenspalieren die Torwege der Heiden schmückten. Über dem Studium des Geldverdienens waren Johanns geistliche Tugenden in den Hintergrund getreten, aber er hatte nie vergessen, den psalmum, miserere mei deus est zu beten und seinen Reichtum mit den Augen der Bescheidenheit zu sehen.
Er würde eine Kirche stiften, schwor er sich zum wiederholten Male, so wie einst Hermann de Novo Foro, dem die Stadt Köln St. Mauritius verdankte, und ein Altarbild wollte er dafür malen lassen, eine gewaltige Passion Christi auf blattgoldenem Grund. Er würde alles in die Wege leiten, wenn die nächsten Tage hinter ihnen lagen und die Sorgen und Selbstzweifel und schlaflosen Nächte.
Jetzt hatte er anderes zu tun.
Er klopfte an und trat in das dahinterliegende Zimmer.
Die alte Frau saß im Dunkeln, aber sie war wach. Johann wußte, daß sie so gut wie nie richtig schlief. Die Blindheit war ihr Schlaf genug, und in diesem Schlaf berauschte sie sich an den Bildern ihres Lebens, als sie noch jung gewesen war und mit Werner, längst verstorben und fast vergessen, Hof gehalten hatte in der Rheingasse. Es waren Feste gewesen, von denen die Kunde bis nach London, Paris und Rom gedrungen war. Sie hatte römischen Kardinalen auftischen lassen, reiche Kaufleute aus Cornwall im großen Festsaal tanzen und flandrische Herren mit spitzen Hüten und prallen Börsen vor ihr auf die Knie sinken sehen. Man hatte sie bewundert für ihren Geschäftssinn, verehrt für ihre Klugheit und begehrt für ihre Schönheit.
Das alles lag weit zurück.
Trotzdem lebte sie nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Jetzt. Hinter ihren eingefallenen Lidern sah sie in die Zukunft, und manch mal war es, als sehe sie weit mehr als alle anderen, die glaubten, sehen zu können. Johann setzte sich auf die Kante des Stuhls ihr gegenüber und stellte den silbernen Leuchter ab.
Er schwieg und starrte in die Flamme.
Nach einer Weile beugte sie sich langsam vor. Im Widerschein der Kerze schienen ihre Züge wie in weißen Marmor geschlagen. Trotz der geschlossenen Augen und der tiefen Furchen erahnte man die Faszination, die sie einmal ausgestrahlt hatte. Es war, als betrachte man die Totenmaske einer sehr alten und sehr schönen Frau.
»Du hast Kummer«, flüsterte sie. Von ihrer vollen, melodischen Stimme war nur ein Rascheln geblieben, trockenes Laub, das der Wind gegen die Mauern blies.
»Ja.«
Johann legte die Fingerspitzen aufeinander. Sie seufzte kaum hörbar.
»Glaubst du nicht mehr an unsere Sache?«
Er schüttelte den Kopf, als könne sie es sehen.
»Das ist es nicht, Mutter. Ich glaube fester daran als je zuvor. Was wir tun, ist richtig.«
»Aber du glaubst nicht unbedingt an unsere Gemeinschaft.«
»Nein.«
»Hm.« Die weißen Finger begannen wieder ihren Weg über den schwarzen Samt des Rockes anzutreten, suchten einander, verschränkten sich. »Nun, Gerhard Morart ist tot. Er mußte sterben, nicht weil wir grausam sind – weil ich grausam bin! – sondern weil die Sache es erforderte.« Sie machte eine Pause. »Aber mancher aus unserer Runde scheint das nicht zu verstehen. Heute denken die Narren, sie könnten durchs Feuer gehen, ohne sich die Füße zu verbrennen.«
»Ins Feuer müssen wir alle«, sagte Johann leise. »Irgendwann.«
»Natürlich. Aber was ist gottgefällig und was nicht? Hast du je darüber nachgedacht, wie vermessen es ist, Gottes Wille kennen zu wollen und andererseits in seinem Namen Recht zu sprechen? Wenn nicht einmal der Papst nachweisen kann, daß er ein wirklicher Diener des Herrn ist, wenn also Gottes Wege unergründlich sind, wie es die Bibel lehrt, dann mag vielleicht der Papst der wahre Splitter im Auge Gottes sein. Wer wird also eher brennen? Derjenige,
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