Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
würde er sich ohnehin bis zur Unkenntlichkeit verhüllen. Er konnte nur hoffen, daß der Fuchs einen Fehler beging.
Jetzt kontrollierte je ein Gespann das Forum, eines den Alter Markt und eines den Bezirk um die Hacht und die Dombaustelle. Sechs Männer für den bestenfalls zehnten Teil der Stadt. Es ging nicht anders. Er mußte die meisten der Knechte dort zusammenziehen, wo Köln am belebtesten war. Die anderen drei Paare bewegten sich zwischen St. Severin und der Bach, von St. Aposteln über den Neumarkt bis zu St. Cäcilien und im Bereich um St. Ursula bis zur porta eigelis.
Urquhart widmete ihnen keinen weiteren Gedanken. Er hoffte, daß Mathias' Verbündeter die Soldaten an den Torburgen würde postieren können.
Unter dem Mantel spürte er die kleine Armbrust, augenblicklich das beruhigendste Gefühl. Langsam schlenderte er über das Forum und studierte die Gesichter. Das Markttreiben war in vollem Gange. Er schritt die Fleischbänke entlang, musterte jeden dort für ein paar hochkonzentrierte Sekunden, um sich dann dem nächsten zuzuwenden. Es war ein festgelegtes Schema, nach dem er sich durch die Menschenmengen arbeitete, ein Prinzip, das es ihm ermöglichte, äußerst schnell das Wesentliche zu erfassen, zu kategorisieren, zu beurteilen und entweder zu handeln oder in seiner Beobachtung fortzufahren. Die Fähigkeit war antrainiert, die Systematik seines
Vorgehens ließ sich niemandem erklären. Urquhart war weit davon entfernt, sich der Eitelkeit hinzugeben, aber er kannte kaum einen Menschen, dessen Verstand in ähnlicher Weise fähig war, Muster zu erfassen oder überhaupt logisch zu denken. Das Begriffsvermögen seiner Zeit war vernebelt, und der Nebel hieß Glaube.
Das war sein Vorteil. Denn Urquhart glaubte an nichts. Er glaubte an keinen Gott und keinen Teufel. Im Grunde glaubte er nicht einmal an die Gültigkeit seiner eigenen oder irgendeiner beliebigen Existenz.
Vielleicht, dachte er, während sein Blick ein neues Gesicht einfing, einfror, ertastete, losließ, wäre dieser Dombaumeister ein würdiger Gesprächspartner gewesen, jemand, mit dem man sich bei einem Krug guten Weins über die Welt hätte lustig machen können. Was er von dem begonnenen Kirchenbau gesehen hatte, fand seine Bewunderung. Falls es tatsächlich den gesamten Bauplan repräsentierte, hatte er ein Gebilde der Logik vor sich. Denn dieser Kapellenkranz, diese steile, beinahe gewaltsam hochschießende
Karikatur der Perfektion war kalt. Die mathematische Exaktheit verdammte jede Inspiration zur Skulptur. Einfangen, ertasten, loslassen – Etwas weiter lag der Kotzmarkt, wo Innereien feilgeboten wurden,
Leber, Herzen und Gedärm, Pansen und Kutteln. Er schob sich von hinten an die Kotzmenger und sah ihnen zu, wie sie Hände voller bläulichrotgeäderter oder fahlweißer Klumpen, Stränge und Lappen abwogen und über die Bank reichten. Einer griff in einen undefinierbaren Haufen und zog einen langen, verknäulten Darm heraus. Der Haufen geriet in Bewegung. Die Massen rutschten übereinander, ein Anblick wie gehäutete Schlangen, zuckende, noch warme Leiber. Er sah den Arm des Mengers immer wieder hineintauchen in den Haufen, offenbar, weil dem Kunden die dargebotenen Stücke mal zu lang, mal zu kurz oder zu dünn oder zu dick waren. Wieder und wieder griff der Mann in die feuchte Masse und zog etwas daraus hervor –
Die Welt färbte sich rot.
Er sah einen Menschen in einer Rüstung, dessen eiserne Kralle niederfuhr und ewas herausriß aus dem Körper eines Kindes, warm, glänzend, klebrig, und das Kind lebte noch und schien der Urheber eines hohen, unirdisch schrillen Geräuschs zu sein, und drumherum –
Rasender Kopfschmerz.
Urquhart schloß die Augen und preßte beide Fäuste gegen die Schläfen.
Das Bild verblaßte.
»Herr, was habt Ihr? Ist Euch nicht gut?«
Er blinzelte. Vor ihm wieder der Markt. Nur Innereien von toten Tieren. »Braucht Ihr Hilfe?« Er wandte der Sprecherin den Kopf zu und sah sie an, ohne sie recht zu
registrieren. Eine Nonne. Besorgnis.
Urquhart quälte ein Lächeln auf seine Lippen. Dann merkte er, wie es ihm schnell wieder besser ging. Die merkwürdige Erinnerung eines anderen Menschen an ein anderes Leben verging.
»Danke, ehrwürdige Schwester«, summte er und neigte zuvorkommend den Kopf.
»Ihr seid ganz sicher?«
»Ein bißchen Kopfweh, nichts weiter. Die unverhoffte Labsal Eurer frommen Anteilnahme tat Wunder. Ich danke Euch.« Sie errötete. »Der Herr sei mit Euch.« »Und
Weitere Kostenlose Bücher