Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
gab der Geist beleidigt zurück. »Du wolltest es ja
nicht anders.«
»Was soll das denn jetzt? He, steck das weg. Jingle Bells.«
»Jingle Bells? Das kannst du laut sagen …«
»Haben Sie es vielleicht mit den Ohren!«, brüllte Schubert. »Jingle
Bells!«
Mit gezogener Waffe brach ich aus dem Badezimmer – gerade noch
rechtzeitig. Die Gestalt im schwarzen Umhang hatte die Sense an die Wand
gelehnt und stattdessen eine kleine Spraydose auf Schubert gerichtet. »Weg
damit!«, schrie ich ihn an und brachte den Spielzeugrevolver in Anschlag. »Aber
plötzlich!«
Die Gestalt wandte sich um, ein unbewegliches Plastikgesicht starrte
mich an. Die Spraydose aber blieb weiterhin auf Schuberts Gesicht gerichtet.
»He«, verlangte ich. »Lass das besser sein!«
In diesem Moment sprayte die Gestalt.
Schubert schrie auf und riss die Hände vor die Augen. »Ich bin
blind! Scheiße, ich kann nichts mehr sehen!«
In einem hilflosen Reflex drückte ich ab. Es knallte nicht mal,
stattdessen ertönte die Melodie von Jingle Bells. Also bewarf ich den Geist der
Weihnacht mit dem Spielzeug. Er fuhr herum und richtete das Spray auf mich,
während Schubert sich schreiend auf dem Boden wälzte.
»Mach keinen Scheiß«, sagte ich. »Steck das weg, dann können wir
über alles reden.« Langsam, mit erhobenen Händen, wich ich zurück. Einen
Schritt, zwei Schritte. Dann stolperte ich rücklings über einen Beistelltisch,
der mitten im Raum stand. Landete auf dem Parkettboden und knallte mit dem Kopf
gegen eine Stuhlkante.
Diesen Moment nutzte der Geist, um zu fliehen.
»Ich bin blind! Schnell, einen Arzt!«, wimmerte Schubert, aber ich
rappelte mich auf und rannte dem Kerl nach. Sekunden später war ich im
Treppenhaus und nahm vier Stufen auf einmal. Kam unten an, aber der Vermummte
hatte den Aufzug bereits verlassen. Ich riss die Tür auf und sah mich draußen
um. Der Geist der Weihnacht arbeitete sich über den matschigen Parkplatz in
Richtung Roxeler Straße vor, erstaunlich geschickt, wie ich zugeben musste.
Trotzdem würde er mir nicht entkommen, denn ich war ihm gegenüber im Vorteil.
Kurzerhand schwang ich mich auf Gorbitschs Fahrrad und trat in die Pedale. Gar
nicht so leicht, auf dem glitschigen Untergrund voranzukommen, mal drehten die
Räder durch, mal rutschten sie weg, aber ich hielt mich an die Furchen, die die
Autoreifen hinterlassen hatten und kam so relativ schnell vorwärts. Der
Vorsprung des Geistes schrumpfte mit jeder Sekunde. Am Ende des Parkplatzes
hatte ich ihn fast eingeholt, als er in halsbrecherischer Weise quer über die
Roxeler Straße setzte. Ich hinterher, genauso halsbrecherisch, nur auf dem Rad.
Ein Auto kam näher, bemerkte mich früh genug und bremste. Aber es hielt nicht
an. Ich betätigte den Rücktritt – ohne Erfolg. Das Rad brach aus der Spur und
knallte gegen den Kotflügel. Wir rutschten noch ein Stück weiter, bis wir zum
Stehen kamen. Was mich betraf, zum Liegen.
»Scheiße, hast du keine Augen im Kopf!«, brüllte jemand, statt mir
aufzuhelfen. Es war Gorbitsch.
»Wo kommst du denn her?«, fragte ich und setzte mich auf. Der Geist
war über alle Berge. »Wieso bist du nicht im Knast?«
»Nett, dass du dich freust, mich zu sehen.«
»Von Freude kann keine Rede sein! Wenn du nicht aufgekreuzt wärst,
hätte ich den Kerl jetzt.«
»Welchen Kerl?«
»Den Geist der Weihnacht. Er hat höchstwahrscheinlich Noteboom auf
dem Gewissen.«
»War es also doch nicht Thilo Strumpf?«
»Natürlich war er es nicht selbst. Er ist der Auftraggeber.«
»Sieh dir den Wagen an«, regte sich Gorbitsch auf. »Du hast den
Kotflügel geschrottet. Der Scheinwerfer ist auch hin.«
Ich stand auf und bürstete Schneematsch von meiner Hose. »Stell dich
nicht so an, Gorbitsch«, sagte ich. »Das ist alles nichts gegen das, was das
Rad abbekommen hat.«
Er starrte den Haufen Blech an und stutzte. »Das ist doch meins,
oder nicht?«
»Darauf kannst du wetten«, sagte ich. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Verdammt, Ole, das ist schon das zweite Rad, das du zu Klump
gefahren hast!«
»Zu Klump gefahren? Es hätte nicht viel gefehlt und du hättest mich
umgebracht. Los, steig ein. Setz dich ans Steuer.«
»Einsteigen? Wieso?«
»Du fährst mich zur Uniklinik, damit die mich auf innere
Verletzungen checken. Und wehe dir, die finden was.«
Wir fuhren tatsächlich zur Klinik, aber nicht meinetwegen,
sondern um Schubert medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Während der Fahrt
plärrte er unablässig,
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