Tod vor der Morgenmesse
waren sie auf der Straße, die nach Norden führte, verschwunden. Fidelma ritt mit dem Rest der Gruppe dem auf der Anhöhe liegenden Kloster entgegen.
Man mußte sie längst erspäht haben, denn Bruder Cú Mara, der junge
rechtaire,
stand an den offenen Toren und erwartete sie ungeduldig.
Sofort erkannte er Schwester Easdan, sah sie verdutzt an und streifte dann den Rest der Ankömmlinge mit prüfendem Blick.
»Was ist passiert? Wo ist Fürst Conrí? Ist er tot? Wie habt |361| ihr Schwester Easdan gefunden? Sind die anderen nicht mehr am Leben?« sprudelten die Fragen nur so aus ihm heraus.
Fidelma glitt vom Pferd und bat ihn, sich zu beruhigen.
»Bitte jetzt keine Erklärungen, die heben wir uns für später auf.«
Unbeeindruckt von ihren Worten, wandte sich Bruder Cú Mara an Schwester Easdan. »Du mußt mir erzählen, was geschehen ist, Schwester«, drängte er sie. »Der Abt will sofort informiert werden. Komm, ich bring dich zu ihm.«
Verärgert nahm Fidelma zur Kenntnis, daß er versuchte, ihre Anweisung zu umgehen.
»Du hast wohl nicht richtig zugehört. Der Abt wird alles und zur rechten Zeit erfahren. Schwester Easdan und Esumaro sind als Zeugen hier. Solange ich nicht die Genehmigung dazu gebe, wird ihnen niemand Fragen stellen. Vorläufig ist ihnen strikt verboten, darüber zu sprechen, was sich in den letzten Wochen ereignet hat. Sobald ich soweit bin, erhalten sie von mir die Erlaubnis, die
urgarad
zu brechen und zu reden.«
Ganz bewußt benutzte sie das Wort
urgarad
für Schweigepflicht; sie verlieh ihrer Anweisung dadurch mehr Gewicht. Jedermann wußte, daß sich nach uraltem Gesetz hinter dem Begriff die Warnung verbarg, dem Verbot unter Androhung von gräßlichem Unheil zuwiderzuhandeln. Es war weithin bekannt, daß es äußerst riskant war, die
urgarad
zu unterlaufen. Hochkönig Conarí, der im ersten Jahrhundert der christlichen Ära regierte, hatte einmal der Anweisung nicht Folge geleistet, und gar bald nahm seine friedliche Herrschaft ein Ende. Es wurde geraubt und geplündert, und schließlich gipfelte das Chaos in seiner Ermordung.
Bruder Cú Mara geriet in Wut.
»Das ist eine reichlich anmaßende Art, die Dinge hier anzugehen«, empörte er sich mit rotem Gesicht. »Ich bin Verwalter |362| des Klosters, ich habe das Recht, zu erfahren, was mit den Mitgliedern des Ordens geschehen ist.«
Er hielt inne. Fidelma sah ihn mit funkelnden Augen an.
»Du weißt, wen du vor dir hast,
rechtaire ?«
ermahnte sie ihn mit ruhiger, aber entschiedener Stimme.« Ich muß dich wohl nicht erst daran erinnern. Also sprich mir nicht von deinen Verantwortlichkeiten und Rechten hier. Ich kenne sie sehr wohl. Genausogut wie du die meinigen.«
Bruder Cú Mara war puterrot geworden. Einen Moment zauderte er noch, besann sich dann aber grollend eines Besseren.
»Abt Erc wird dich unverzüglich sehen wollen«, argumentierte er beharrlich.
Gelassen betrachtete Fidelma den dunkel werdenden Himmel.
»Er wird uns später sehen. Veranlasse, daß man für uns alle ein heißes Bad bereitet. Dann essen wir, und danach werden Bruder Eadulf und ich den Abt aufsuchen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt,
rechtaire ?«
Bruder Cú Mara war im Begriff, etwas zu erwidern, ließ es dann aber doch lieber. Offensichtlich hatte er begriffen, daß er gegen einen Felsen anrannte.
»Abt Erc wird ungehalten sein«, murmelte er noch im Gehen für alle hörbar.
»Sein Ungehaltensein dürfte auch auf das meinige stoßen, nur könnte sich meins spürbar steigern, wenn wir hier am Tor noch lange weiter streiten«, rief sie ihm hinterher.
Bruder Cú Mara drehte sich um.
»Alles soll geschehen, wie du sagst, Fidelma von Cashel.« Er betonte ihren Titel mit besonderem Nachdruck. »Ich werde Schwester Sinnchéne anweisen, für dich, Bruder Eadulf und … und den Mann dort das Bad zu richten.« Er deutete mit |363| dem Kopf auf Esumaro. »Schwester Easdan kann sich gemeinsam mit ihren Mitschwestern waschen und …«
»Schwester Easdan wird vorläufig mit uns zusammen im Gästehaus bleiben«, gab ihm Fidelma Bescheid. »Das gleiche gilt für Conrís Mann.«
Dem Verwalter klappte der Unterkiefer herunter. Schon wollte er protestieren, schluckte dann aber.
»Wie du wünschst«, knurrte er.
»Gut.« Zufrieden setzte Fidelma eine heitere Miene auf. »Gib acht, daß jemand nach den Pferden schaut. Wir haben einen langen und anstrengenden Ritt hinter uns. Man soll sie gut versorgen und ihnen reichlich Futter geben. Sie gehören
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