Tod vor der Morgenmesse
nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Die Uí Fidgente erlitten bei Cnoc Áine durch deinen Bruder eine Niederlage, und unsere herrschende Familie wurde getötet. Viele haben nun das Gefühl, Cashel untertan zu sein ist wie in einer Knechtschaft zu leben.«
|369| »Das stimmt nicht ganz, denn das Geschlecht eures Fürsten Donennach geht auf Fidgennid zurück, nach dem sich der Stamm der Uí Fidgente benannte. Für die Clans ist ein friedliches Zusammenleben besser als die ewigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich durch all die Jahrhunderte zogen.«
Abt Erc senkte den Kopf. »Wir wollen nicht über Politik reden, Fidelma. Ich weiß, wie gewandt du auf diesem Gebiet bist.«
Fidelma blieb ernst. »Wir werden wohl oder übel ziemlich bald über solche Dinge reden müssen.«
»Glaubst du, daß bei dem Mord und der Entführung politische Fragen mit hineinspielen?« fragte er erschrocken. »Die meisten Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaft hier sind getreue Uí Fidgente. Viele von ihnen haben unsere alten Herrscher unterstützt.«
»Die meisten, ja. Der Ehrwürdige Cináed aber nicht. Ich geh doch recht in der Annahme, daß du das nicht gutgeheißen hast, oder?«
Der Abt versuchte die tiefere Bedeutung ihrer Worte zu ergründen.
»Es bringt nichts, wenn ich mich gegen deinen Vorwurf verwahre. Gutheißen konnte ich Cináeds Ansichten nicht. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß ich seinen Tod herbeigeführt habe. Ich kannte ihn viele Jahre lang, und wir haben zusammengearbeitet. Aber seine Leidenschaft, Meinungsstreit zu suchen, mißfiel mir einfach.«
»Leidenschaft nennst du das? Eine merkwürdige Wortwahl.«
»Alles, was er schrieb, war darauf gerichtet, der orthodoxen Denkart zu widersprechen. Das bedeutete doch nichts anderes, als einen Meinungsstreit heraufzubeschwören. Immer |370| und überall griff er kontroverse Fragen auf. Man kann es nicht anders sagen, er hatte einen ausgesprochenen Drang, in dieser Hinsicht eine traurige Berühmtheit aus sich zu machen.«
»Vielleicht könnte man es auch so sehen: das Festhalten eines Menschen an seinen Grundauffassungen bei der Suche nach der Wahrheit«, gab Eadulf zu bedenken, der sich bisher zurückgehalten hatte.
»Vielleicht«, meinte der Abt zerstreut. »Cináed war für das Lenken der Geschicke dieser Abtei ein Kreuz. Viele empfanden ihn und seine Ansichten als anstößig.«
»Ähnlich wie der junge Bruder Cú Mara?« fragte Eadulf harmlos.
»Nicht nur er, andere genauso«, bekräftigte Abt Erc rasch. »Doch ihr dürft mich nicht mißverstehen. Für sich genommen war Cináed gut zu leiden und eine Bereicherung für das Gespräch. Seine Auffassungen konnte ich nie teilen. Auch mochte ich nicht die Arroganz, mit der er das, was die anderen als Wahrheit verteidigten, widerlegte. Und dann war da noch die Geschichte mit ihm und Schwester Buan. Ich war immer gegen diese Bindung und habe mich auch geweigert, der Eheschließung meinen Segen zu geben.«
»Ging das nicht ein bißchen zu weit?« tadelte ihn Fidelma. »Wieso hast du dich dagegen verwahrt?«
»Geistliche haben im Zölibat zu leben, und ich stehe dazu.«
»Ard Fhearta ist doch aber ein gemischtes Haus, ein
conhospitae,
in dem Männer und Frauen gemeinsam ihre Kinder im Dienste Christi erziehen.«
»Man kann Berge nicht an einem Tag versetzen.
Vincit qui patitur
– nur wer Geduld hat, wird siegen. Du hast recht, das hier ist ein
conhospitae,
und Äbtissin Faife und ich haben das Kloster gemeinsam geleitet. Nun, da die Äbtissin tot ist, bin ich allein der Regierende, und meine Richtlinien werden die |371| allein gültigen sein. Der Platz der Äbtissin Faife wird nicht neu besetzt. Binnen eines Jahres wird Ard Fhearta eine rein männliche Domäne sein, in der neue Verhaltensregeln gelten. Ich bin der gleichen Ansicht wie der junge Bruder Cú Mara. Immer mehr Klöster übernehmen die Bußvorschriften aus Rom. Wir werden die Regeln unserer Kirche gegen die Regeln austauschen, die von dort zu uns herüberkommen.« Er blickte Eadulf an. »Das dürfte dich freuen, Bruder Angelsachse, denn du trägst die Tonsur wie in Rom, also glaubst du auch an die dort geltenden Regeln.«
Nur kurz streifte Eadulf ein Unbehagen.
»Vielleicht bin ich schon zu lange in eurem Land … Wie heißt es doch gleich in den Schriften des heiligen Ambrosius, des Bischofs von Mailand …
si fueris Romae, Romano vivito more; si fueris alibi, vivito sicut ibi.
«
Beglückt war der Abt nicht ob dieser
Weitere Kostenlose Bücher