Tod vor der Morgenmesse
machst. Ist das an dem? Wenn ja, dann betrachte ich das als eine Beleidigung unserer heiligen Einrichtung.«
Fidelma erwiderte seinen strengen Blick mit einem entwaffnenden Lächeln.
»Nichts liegt mir ferner als eine Beleidigung deiner Person oder eures Hauses, Abt Erc. Vielleicht darf ich dir die Umstände erklären; ich bin sicher, du wirst Verständnis für meine Überlegungen haben.«
Der Abt machte eine ungeduldige Geste, und sie interpretierte sie als ein Zeichen fortzufahren.
»Manchmal müssen sich die Regeln eines Klosters den Regeln des Gesetzes unterordnen«, begann sie.
Das war für Bruder Cú Mara zuviel »Die Regeln Gottes stehen über allem«, schnaubte er.
»Es wurde gegen keine Regel Gottes verstoßen«, entgegnete Fidelma ruhig und sachlich. »Wo steht in der Bibel geschrieben, daß ich die Fragen eines jungen
rechtaire
zu beantworten habe?«
Abt Erc hob eine Hand, um weitere Rede und Gegenrede zwischen den beiden zu unterbinden.
»Man hat dich in dieses Kloster gebeten, um einen Mord und die Entführung einiger unserer Schwestern aufzuklären«, erinnerte er sie. »Offensichtlich bist du damit einen Schritt weitergekommen, und wir dürfen mit Fug und Recht erwarten, daß du uns über die Ergebnisse in Kenntnis setzt.«
»Einer
dalaigh
wie mir, noch dazu im Rang einer
anruth,
hat nur der höchste Richter des Königreiches, der Oberste Brehon, etwas zu gebieten oder abzuverlangen«, stellte sie ohne Erregung klar. »Ich glaube jedoch, daß ich in ein oder |367| spätestens zwei Tagen dir über alles Aufschluß geben kann. Es geht mir darum, die Schuldigen zu entlarven und ihnen keine Zeit zum Entrinnen zu lassen. Deshalb darf zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand in der Abtei von dem, was sich zwischenzeitlich ergeben hat, etwas erfahren.«
Abt Erc war sichtlich schockiert.
»Du vermutest also, die Schuldigen seien hier im Kloster zu finden?«
»Ich habe schon dem Ehrwürdigen Mac Faosma erklärt, daß ich mich nie auf Vermutungen berufe. Du kannst das auffassen, wie du willst.«
»Ich verlange, daß du mich von dem in Kenntnis setzt, was du weißt«, erregte sich der Abt.
Fidelma zog die Brauen zusammen.
»Du verlangst es?« fragte sie mit schneidender Stimme. »Du willst von einer
dalaigh
etwas verlangen?«
Ihr Tonfall ließ Abt Erc zusammenzucken. Aber Bruder Cú Mara, jung und unbelehrbar, wurde sarkastisch.
»Du solltest nicht vergessen, daß sich die Zeiten ändern, Fidelma von Cashel. Deine Gesetze sind langsam überholt. An ihre Stelle treten die neuen Pönitenzbücher aus Rom, und über kurz oder lang wird die Rechtsprechung in den Händen von Äbten und Bischöfen liegen.«
Fidelma gönnte ihm nur einen kalten, stechenden Blick.
»Möge Gott uns vor einer solchen Katastrophe bewahren«, sprach sie ehrfurchtsvoll wie in einem Gebet. »Schon in Vorzeiten befahl Hochkönig Ollamh Fodhla, die Gesetze und Urteile der Oberrichter zu sammeln, auf daß sie in allen fünf Königreichen gleichermaßen Anwendung fänden. Damit war die Gewähr gegeben, daß kein König oder Priester über dem Gesetz stand; jeder Richter hatte für seine Rechtsprechung einzustehen. Alle waren vor dem Gesetz gleich. Äbte ebenso |368| wie Könige. Wenn das System abgeschafft wird, dann begibt sich unser Volk in eine wahre Knechtschaft unter andere Mächte, egal ob es um die Bußvorschriften aus Rom oder von sonst wem geht.«
Bruder Cú Mara wurde rot vor Wut.
»Knechtschaft? Komm du mir nicht mit Knechtschaft! Eine Eoghanacht von Cashel muß uns nicht sagen, was das ist. Ihr seid es doch, die die Uí Fidgente in Knechtschaft halten!«
Jetzt hatte Fidelma ihrerseits Mühe, sich zu beherrschen.
»Ach ja? Dann bist du wohl anderer Meinung als euer Stammesfürst Donennach, der Frieden mit Cashel für besser hält als ständiges Aufbegehren gegen den König?«
Bruder Cú Mara drohte sich zu vergessen; erbost trat er einen Schritt nach vorn.
»Cú Mara! Schluß jetzt«, rief Abt Erc gebieterisch. »Deine Ergebenheit gilt der Abtei und dem Wohlergehen ihrer Gläubigen. Denk daran und geh!«
Bruder Cú Mara blieb stehen. Er schien mit sich zu kämpfen.
»Geh!« wiederholte der Abt barsch.
Mit einem undefinierbaren Zischlaut verließ der Gescholtene den Raum.
»Der hat mit uns nichts im Sinn«, flüsterte Eadulf Fidelma zu.
Abt Erc versuchte abzulenken.
»Cú Mara ist jung und eigenwillig, und umsichtiges Verhalten ist bekanntlich nicht die starke Seite junger Menschen. Trotzdem ist seine Auffassung
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