Tod vor der Morgenmesse
Dort verbargen wir uns. Dann sahen wir ein Licht und bekamen mit, daß Leute in die Höhle stiegen. Es dauerte nicht lange, da erschien das Licht wieder, und jemand rannte den Hügel hoch. Da gab es nur eins … Ich warf mich auf den Mann …«
»Und hättest mich dabei fast umgebracht«, sagte Eadulf vorwurfsvoll.
»Du kannst Esumaro nicht dafür tadeln, daß er versucht hat, sich zu verteidigen«, ermahnte ihn Schwester Easdan. »Je denfalls ist das unsere ganze Geschichte.«
Alle schwiegen eine Weile, bis Gáeth aufstand und mehr Torf auf die Glut legte. »Sollten unsere Freunde heute früh tatsächlich da hingefahren sein und euch nicht gefunden haben, werden sie denken, ihr seid untergegangen und ertrunken.«
Der Meinung war Fidelma auch. »Ich glaube, es besteht nicht die Gefahr, daß die Bande von der Seanach-Insel hinter uns her ist.«
»Jedenfalls haben wir das Geheimnis gelüftet«, bemerkte Conrí selbstzufrieden.
Alle schauten ihn verwundert und erwartungsvoll an.
»Was hat dich zu dieser Schlußfolgerung gebracht?« fragte Fidelma mit gefährlich honigsüßer Stimme.
|356| Conrí schaute überrascht auf.
»Na, ist das nicht klar? Das ganze Unheil ist Uaman und seinen Anhängern zur Last zu legen. Er ist wieder dabei, wie früher Schätze aufzuhäufen und sich einen Stützpunkt zu schaffen.«
»So einfach ist das?« fragte Fidelma.
»Einfach ist das gerade nicht«, wehrte sich Conrí.
»Darin kann ich Conrí nur beipflichten«, äußerte sich Eadulf.
»Du gehst also neuerdings auch davon aus, daß Uaman noch am Leben ist«, stellte ihn Fidelma zur Rede. »Bist du dir nicht mehr ganz sicher, daß du gesehen hast, wie er starb?«
Eadulf zuckte mit den Achseln. »Ich bin mir sicher. Aber ich kann nicht gegen so viele Leute an, die behaupten, ihn wieder lebendig gesehen zu haben.« Er klang ziemlich kleinlaut.
»Glaubt mir, dieses Geheimnis ist noch längst nicht gelüftet. Wir haben ein paar weitere Einzelheiten erfahren, die wir unserem Wissensschatz zufügen können, weiter nichts. Es gilt noch eine ganze Menge aufzudecken.«
»Aber wir wissen doch, daß die Nonnen von Ard Fhearta verschleppt wurden, weil sie es verstanden, Edelsteine zu spalten und zu schleifen …«, wandte Conrí ein.
»Und warum hat uns niemand davon unterrichtet, daß es in der Abtei so geschickte Handwerker gibt?« forschte Fidelma.
»Die Frage kann ich nicht beantworten«, erwiderte Conrí. »Immerhin wissen wir, wer die Äbtissin ermordet hat und wer die Ordensschwestern verschleppt hat. Nämlich dieser Olcán!«
»Aber wer ist Olcán, und für wen arbeitet er?«
»Wir müssen eben davon ausgehen, daß Uaman der Aussätzige lebt. Er ist der geheimnisvolle ›Meister‹. Außerdem steht Slébéne in seinem Sold.«
|357| »Ist Uaman demnach wunderbarerweise von den Toten auferstanden?« fragte Fidelma mit einem Anflug von Ironie. »Erinnert euch, bislang hat niemand außer Ganicca den Mann wirklich wiedererkannt. Ich vertraue Eadulf voll und ganz und verlasse mich darauf. Wenn er sagt, er hat etwas gesehen, dann hat er es tatsächlich gesehen. Niemand hat dem Mann ins Gesicht schauen können, um wahrhaftig zu bestätigen, daß er Uaman ist. Einen Schatten haben sie gesehen, nicht mehr.«
Sie blickte alle nacheinander an.
»Fest steht, wer auch immer hinter all dem steckt, sie haben eine ergiebige Fundstätte der
lec-lógmar
gefunden. Sie haben Fachleute in die Sklaverei verschleppt, die wußten, wie man die Edelsteine bearbeitet, um sie später an Handelsherren zu verkaufen. Ferner wissen wir, daß dieser Olcán ein erbarmungsloser Schurke ist. Und der Kerl, der ihn lenkt, ist es nicht minder – wer immer das sein mag. Auch bin ich der Meinung, daß sie Slébéne Bestechungsgelder zahlen, damit er sie bei ihren Machenschaften gewähren läßt. Aber mich beschäftigt noch etwas anderes. Warum wollte Schwester Sinnchéne die Äbtissin und die anderen Ordensschwestern begleiten, obwohl sie doch keine Steinschleiferin ist? Und warum hat sich Äbtissin Faife geweigert, sie mitzunehmen?«
Alle verfielen in unbehagliches Schweigen und warteten darauf, daß sie weitersprach.
»Und was machen wir jetzt, Lady?« Es war Conrí, der nach einer Weile leise die Frage stellte.
Fidelma schaute zum Himmel. An kurzen Wintertagen wie diesem setzte bereits wieder die Dämmerung ein.
»Heute wohl nicht mehr viel«, seufzte sie. »Wir müssen Gáeth und Gaimredán weiter zur Last fallen und für noch eine Nacht ihre
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