Tod vor der Morgenmesse
Antwort.
»Gut gesprochen, Bruder Angelsachse. ›Wenn du in Rom bist, verhalte dich wie ein Römer; wenn du woanders bist, verhalte dich so, wie die anderen dort‹«, übersetzte er. »Mag sein, daß das eine gute Lebensphilosophie ist. Aber da du auf die Lehren von Ambrosius anspielst, sollten wir uns auch an etwas anderes von ihm erinnern: Als Kaiser Theodosius in Thessaloniki die Griechen niedermetzelte, weil sie einen römischen Statthalter getötet hatten, verurteilte Ambrosius das als ein Verbrechen, das öffentlich gebüßt werden müsse. ›Der Kaiser ist wie alle Teil der Kirche‹, schrieb er, ›er steht nicht über ihr.‹ So zwang er Theodosius, öffentlich Buße zu tun. Auch du tätest gut daran, Schwester Fidelma, dich an diesen Vorgang zu erinnern, wenn du sagst, die Kirche hat sich im Rahmen des Gesetzes zu bewegen. Rom lehrt uns, daß die Kirche das Gesetz ist.«
Fidelma lächelte nur andeutungsweise.
|372| »Eure Gelehrsamkeit ist unbestritten, Abt Erc. Doch wir sind nicht, wie Eadulf bereits betont hat, in Rom. Ich brauche noch Zeit, um meine Nachforschungen abzuschließen. Und solange ich nicht soweit bin, wünsche ich, daß niemand versucht, die Zeugen, die ich mitgebracht habe, auszufragen.«
»Du bist eine eigenwillige Frau«, tadelte der Abt.
»Ich bin eine
dálaigh
«, erwiderte sie.
Abt Erc überging die Bemerkung. »Fürst Conrí kehrt doch sicher hierher zurück?«
»Ich kann dir versprechen, daß das seine Absicht ist.«
»Sehr gut. Ich hoffe, du suchst mich nach zwei Tagen wieder auf und informierst mich über die Vorgänge, die du zur Zeit noch für dich behältst. Ich werde Bruder Cú Mara anweisen, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind.«
Schwester Fidelma erhob sich. »Ich bin zuversichtlich, daß wir bis dahin die mysteriösen Vorgänge aufgedeckt haben.«
Mit einer flüchtigen Verneigung, die mehr seinem Amt als seiner Person galt, verließ sie den Raum, gefolgt von Eadulf.
Draußen blieben sie einen Augenblick stehen.
»Nicht gerade die hilfreichste Person«, war Eadulfs Eindruck. »Allem Anschein nach erweist sich der Tod der Äbtissin Faife für ihn und die Abtei eher als positiv.«
»So sehe ich das auch«, bekräftigte Fidelma seine Auffassung. »Fragt sich nur, ob er wissentlich oder durch unglückliche Umstände herbeigeführt wurde. Ein Punkt, den wir nicht außer acht lassen dürfen.«
»Jedenfalls müssen wir beide ihn und Bruder Cú Mara im Auge behalten.«
»Sie sind nicht die einzigen; da gibt es noch mehr, die hier ihr heimliches Spiel spielen. Wenn ich nur wüßte, ob deren Machenschaften und die auf der Seanach-Insel miteinander zu tun haben.«
|373| »Wenn alles gut geht, sind wir nach Conrís Rückkehr schlauer.«
»Vielleicht. Ich hoffe, wir haben schon vorher etwas mehr Licht ins Dunkel gebracht. Gehen wir erst mal zurück ins
hospitium.
«
Sie ließen das Hauptgebäude hinter sich. Eadulf machte plötzlich Halt und murmelte eine Entschuldigung, sie solle nur gehen, er würde sie gleich wieder einholen. Fidelma sah, daß er in Richtung
defaecatorium
für Männer verschwand. Sie blieb unter einer Laterne stehen, um auf ihn zu warten.
»Schwester Fidelma!«
Überrascht, ihren Namen zu hören, drehte sie sich um. Aus dem Schatten trat Schwester Buan hervor.
»Ich bin froh, daß du wieder da bist. Ich habe mir Gedanken gemacht wegen der Angelegenheit, über die wir gesprochen haben.« Die Frau mit dem scharfkantigen Gesicht lächelte sie freundlich an.
»Wegen einer Angelegenheit, über die wir gesprochen haben?« wiederholte Fidelma mit gekrauster Stirn und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern.
»O nein, du hast es vergessen! Wo ich so gehofft hatte, du würdest die rechtliche Seite des Problems für mich klären. Natürlich weiß ich, daß du mit anderen Dingen … wichtigeren Dingen … beschäftigt bist. Aber …«
Plötzlich kam es Fidelma wieder in den Sinn. Zuviel war in der Zwischenzeit geschehen. Sie hatte sich über die angedeutete Sache belesen, ehe sie von Ard Fhearta fort- und auf Mugróns Schiff gegangen war. Mit einem Lächeln heischte sie um Verständnis, faßte die offenbar verstörte Schwester Buan am Ärmel und hinderte sie am Fortlaufen.
»Verzeih, Schwester. Du hast recht. Mir geht ein bißchen viel durch den Kopf. Aber ich habe deinen Fall überprüft und |374| kann dir den Stand der Dinge darlegen, wenn du möchtest. Es ist eigentlich gar nicht kompliziert.«
»Am besten, du kommst mit zu mir, da können wir es
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