Tod vor der Morgenmesse
stellte fest, daß Fidelma ihm gefolgt war.
»Ein loser Felsbrocken?« fragte sie.
Er zog eine Grimasse.
»Ein Brocken, dem man gut nachgeholfen hat«, antwortete er bitter und deutete auf die Kratzspuren. »Den hat jemand absichtlich gelockert. Ich fürchte, man hat dich umbringen wollen.«
Fidelma nahm die Auskunft ungerührt hin.
»Das bedeutet, daß wir ziemlich nahe an des Rätsels Lösung sind«, sagte sie in aller Ruhe. »Aber wie sind die so schnell vom Dach heruntergekommen?« Prüfend sah sie sich um.
Die Antwort war klar. Die eine Wand des Hauses stieß fast an den Schlafsaal des Klosters. Ein harmloser Sprung, und man landete auf einem Laufsteg, von dem man das Dach, falls nötig, ausbessern konnte, und der Steg endete an einer kleinen Tür.
»Soll ich ihnen hinterher?«
Fidelma wehrte ab.
»Die sind längst auf und davon. Den Täter erwischst du nicht mehr.«
Von dem schmalen Durchgang unten, der die beiden Gebäude trennte, hörte man Schritte. Schwester Sinnchéne lief vorbei, bepackt mit einem Korb Wäsche. Offensichtlich war |383| sie dabei, die gewaschenen Sachen an ihre Eigentümer zu verteilen.
»Wir sollten nachsehen, ob mit Schwester Easdan alles in Ordnung ist«, meinte Fidelma und ging zur Treppe. »Es war ein Schock für sie.«
Sie fanden sie in der Werkstatt und sahen sich im gleichen Moment Bruder Cú Mara gegenüber.
»Draußen vor der Tür liegt ein geborstener Stein, vermutlich ist er vom Dach heruntergefallen«, verkündete er besorgt.
»Deine Vermutung können wir bestätigen«, erwiderte Fidelma. »Rein zufällig hat sich ein Stein gelöst, aber zum Glück ist nichts weiter passiert.«
»Ich bin hier, um mich für meine Ungehörigkeit gestern zu entschuldigen«, erklärte der Verwalter förmlich. »Als
rechtaire
der Abtei muß ich mich beherrschen können und persönliche Gefühle für mich behalten. Es tut mir leid.«
»Woher wußtest du, daß wir hier sind?« fragte Eadulf streng.
Bruder Cú Mara zog die Stirn kraus. »Schwester Sinnchéne kam vorbei, als ich gerade mit Schwester Uallann und Schwester Buan sprach, und da hab ich sie gefragt, ob sie mir sagen könnte, wo ihr seid.«
»Aha«, nahm Fidelma ernst das Wort. »Ich akzeptiere deine Entschuldigung, Bruder Cú Mara. Für uns alle hier sind die Tage ungewohnt anstrengend. Es wäre für mich allerdings hilfreich gewesen, wenn man mir schon früher mitgeteilt hätte, daß die vermißten Schwestern der Gemeinschaft allesamt Steinschleifer und Polierer waren.«
»Ich wüßte nicht, warum.« Unversehens war der junge Verwalter in seinen alten Ton verfallen.
»Es hat was mit meinem Beruf zu tun«, klärte sie ihn gelassen auf. »Wenn man mir Informationen vorenthält, kann ich |384| auch zu keinen Schlüssen kommen. Aber die Information habe ich ja nun.«
Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und ging zusammen mit Eadulf aus der Werkstatt. Die junge Schwester Easdan trottete ihnen hinterher. Der Verwalter des Klosters blieb allein zurück und schaute ihnen gedankenverloren nach.
Am späten Nachmittag drang vom Haupttor der Abtei Tumult an ihre Ohren. Socht kam, um Bericht zu erstatten, ruhig und ohne Erregung wie immer. Atemlos wäre ein Mönch vom Hafen An Bhearbha angejagt gekommen und hätte die Nachricht gebracht, daß zwei Kriegsschiffe einliefen. Sie würden Tadcán, dem Fürsten von Baile Tadc, gehören, auch hätte man Conrí an Bord gesehen. Rasch ging die Kunde um, daß er nach Ard Fhearta mit Gefangenen und den bislang verschollenen Mitgliedern des Klosters zurückkehrte. An den Haupttoren herrschte erregtes Gedränge, alle wollten die Ankunft des Kriegsherrn der Uí Fidgente miterleben. Fidelma und Eadulf und mit ihnen Socht gesellten sich zu den anderen. Die meisten der maßgeblichen Persönlichkeiten des Klosters fanden sie bereits dort versammelt.
Fidelma blieb nicht verborgen, daß der Ehrwürdige Mac Faosma und Abt Erc fehlten. Schwester Uallann, die Ärztin, stand mit untergeschlagenen Armen neben Schwester Buan, nicht weit von ihnen Bruder Cillín. Selbst Bruder Eolas hatte sich von seiner Bibliothek losgerissen, und auch den jungen Bruder Faolchair hatte das Ereignis hinausgelockt.
Conrí und ein halbes Dutzend Krieger führten in ihrer Mitte nur einen Gefangenen, aber hinter ihnen kamen die fünf vermißten jungen Frauen der Gemeinschaft. Überglücklich stürzte ihnen Schwester Easdan entgegen. Sie fielen sich gegenseitig in die Arme, lachten und weinten und erregten
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