Tod vor der Morgenmesse
dürfen, was ich über die ehrgeizigen Ziele von Eoganáns Söhnen gesagt habe, auch daß er drei Kinder hatte und nicht zwei …«
»Eine Frage, Lady«, rief Esumaro. »Geriet mein Schiff wegen der Wetterunbilden in Not oder wurde das Unheil mit Vorsatz herbeigeführt?«
»Ich würde es so sagen: Gelegenheit macht Diebe. Olcán und seine Männer nutzten die Gelegenheit, einen Schiffbruch herbeizuführen, als sie sahen, daß dein Gefährt versuchte, dem Sturm zu trotzen und die Insel zu umschiffen. Eigentlich waren sie nur dort, weil sie auf Äbtissin Faife und ihre Begleiterinnen warteten. Dann sahen sie das reiche Kauffahrteischiff und beschlossen aus der Situation heraus, noch zusätzliche Beute zu machen. Wie etliche von euch vielleicht wissen, war Olcán …« – hier ließ sie ihren Blick kurz auf dem bleichen, unbeweglichen Gesicht von Schwester Sinnchéne verweilen – »zu Uamans Lebzeiten einer seiner Anführer. Nach dessen Tod galt seine Gefolgstreue Eoganáns anderem Kind. Man hatte ihm den Auftrag erteilt, sich zur Insel zu begeben und bei den Ruinen von Uamans Turm zu warten. Er wußte, daß sein neuer Herrscher dringend Geld brauchte, um für Donennachs Sturz Söldner zu gewinnen und bezahlen zu können. Man hatte ihm weiterhin gesagt, daß Äbtissin Faife mit den jungen Nonnen an einem bestimmten Tag und zu bestimmter Stunde vorbeikommen würde. Laut Befehl sollte er die Schwestern unversehrt gefangennehmen. Was mit der Äbtissin geschah, war belanglos. Ihre Gefährtinnen aber wurden gebraucht, denn sie verfügten über entscheidende Fertigkeiten.«
|435| Schwester Easdan konnte nicht länger an sich halten.
»Die Edelsteine. Olcán und seine Leute brauchten Fachkräfte, die sie bearbeiteten, um sie dann zum Verkauf anbieten zu können. So wären sie zu Geld für ihr Unterfangen gekommen. Skrupel, die arme Äbtissin Faife umzubringen, hatten sie nicht. Sie schafften uns auf die Seanach-Insel, wo Einsiedler für sie das kristallhaltige Gestein förderten, und wir mußten es spalten und polieren.«
»Genauso war es«, versicherte ihnen Fidelma.
»Und was ist mit meiner Besatzung und meinem Schiff?« verlangte Esumaro empört zu wissen. »Was hatten wir mit alledem zu tun?«
»Wie ich schon vorhin andeutete, du warst einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, das ist alles«, beteuerte Fidelma. »Olcán muß gesehen haben, wie dein Schiff bei schlechtem Wetter in die Bucht getrieben wurde. Er hielt das für einen göttlichen Wink, seinem Meister dienlich zu sein. Ihr konntet ja wertvolles Frachtgut an Bord haben. Olcán war ein perverser und bösartiger Mensch. Er entzündete ein Leuchtfeuer und leitete dich fehl, direkt auf die Felsen zu und …« Sie zuckte mit den Achseln. »Dann verbarg er die Güter in der zerstörten Festung; es galt, einen günstigeren Zeitpunkt abzuwarten, zu dem er mit seinem Kriegsschiff von der Seanach-Insel um die Halbinsel herumsegeln und die Schätze abholen konnte. Du aber hast überlebt, Esumaro, als einziger. Dir haben wir eine entscheidende Information zu verdanken, ohne die wir die Geschichte nicht hätten rekonstruieren können.«
»Und die wäre?«
»Du hast gehört, wie Olcán seinen Leuten von dem Treffen mit der Äbtissin und ihrer Begleitung erzählte, was ein Beweis dafür ist, daß er genau informiert war, wann sie wo des Weges |436| kommen würde. Bei deinem Versuch, unmittelbar nach dem Schiffbruch Olcán und seiner Räuberbande zu entkommen, hat dich die Äbtissin aufgelesen. Um ein Haar hättest du ihr Schicksal geteilt. Dank unserer Schwester Easdan und einer enormen Portion Glück bist du aber am Leben.«
Die in der Kapelle Versammelten hingen an ihren Lippen. Sie saßen nach vorn gebeugt und lauschten ihren Worten. Selbst der Ehrwürdige Mac Faosma verhielt sich ruhig und hörte aufmerksam zu.
»Die Edelsteine waren der eigentliche Schlüssel. Mit ihrer Hilfe sollte das Geld aufgebracht werden, um eine Heerschar von Söldnern zu bezahlen, Abschaum von Kriegern aus dem Norden, von den Uí Maine und den Uí Briúin Aí, die helfen sollten, Donennach zu stürzen.«
Sie machte eine Pause und blickte zu Schwester Easdan hinüber.
»Also weiter. Eine Sache interessierte mich besonders. Natürlich war das Kloster dafür bekannt, Edelsteine und Schmuck herzustellen, war bekannt für seine meisterlichen
lecgaraid
oder Steinschleifer. Abt Erc wünschte jedoch nicht, daß die Namen der Arbeiterinnen bekannt wurden. Er wollte den Ruf für die Abtei;
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