Tod vor der Morgenmesse
Buch |112| aus der
tech-sceptra
zu entnehmen.« Mit einer Handbewegung bedeutete er dem Jungen, sich an seine Aufgaben zu machen, und wandte sich dann Fidelma zu. »Üblicherweise ist es nicht gestattet, sich Handschriften aus der Bibliothek zu entleihen. Man darf nur hier sitzen und lesen. Es gab lediglich drei Ausnahmen … Ja, drei, jedenfalls bis zum Tod des Ehrwürdigen Cináed …«
»Das heißt, der Abt und der Ehrwürdige Mac Faosma können Bücher aus der Bibliothek mitnehmen?«
»Genauso ist es.«
»Wenn wir also einen Blick in dieses Werk werfen wollen, müßten wir den Ehrwürdigen Mac Faosma in seiner Studierstube aufsuchen?«
Der Mann schaute etwas betreten drein. »Er lebt sehr abgeschieden und empfängt keine Besucher.«
Eadulf lachte amüsiert. »Von dem, was mir zu Ohren gekommen ist, hält ihn seine Zurückgezogenheit nicht davon ab, vor Hunderten von Studenten an Disputationen teilzunehmen.«
»Teilnahme an öffentlichen Streitgesprächen ist etwas anderes, als Gäste im Privatgemach zu empfangen«, wurde er belehrt.
»Das ist eine allgemeingültige Feststellung, da läßt sich nichts gegen einwenden. Ist das Gebaren dieses Mannes aber tatsächlich so merkwürdig?« Eadulf lächelte den Bibliothekar gewinnend an.
»Ich würde sagen, alle großen Männer haben das Recht auf gewisse Eigentümlichkeiten«, kam die ausweichende Antwort.
»Und der Ehrwürdige Mac Faosma, der ist deiner Einschätzung nach ein großer Mann?« bohrte Eadulf weiter.
Fidelma warf ihm einen warnenden Blick zu, ehe sie äußerst |113| liebenswürdig zu dem Hüter des Büchersaals sagte: »Wir sind dir sehr dankbar für deine Unterstützung, kann durchaus sein, wir kommen noch einmal darauf zurück. Du schaltest und waltest in einer großartigen Bibliothek, Bruder Eolas. Ich hoffe sehr, daß uns noch Zeit vergönnt ist, eine Weile in deinen unermeßlichen Schätzen zu blättern.«
Bruder Eolas machte so etwas wie eine Verbeugung, bemüht, sich einen würdevollen Anschein zu geben. Ihre Worte schmeichelten ihm.
Draußen meinte sie zu Eadulf: »Du mußt den Menschen da drinnen nicht unnötig verärgern. Nichts für ungut, dem Ehrwürdigen Mac Faosma jedenfalls sollten wir einen Besuch abstatten. Das machen wir aber erst am Nachmittag.«
»Und wie kommen wir in der Mordsache Äbtissin Faife weiter?« fragte Eadulf. »Letztendlich sind wir doch ihretwegen hier.«
»Das ist richtig. Nur ist die Spur, die zu ihrem Tod führt, schon vierzehn Tage alt, wohingegen der Tod des Ehrwürdigen Cináed noch relativ frisch ist. Ich dachte, wir könnten einen weiteren Tag hier verbringen und uns dann auf den Weg machen und sehen, was für Anhaltspunkte sich für uns im Land der Corco Duíbhne ergeben.«
»Einen deutlichen Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen siehst du aber nicht, oder?«
Sie griente. »Einen Zusammenhang gibt es insofern, als die Äbtissin und der Ehrwürdige Cináed beide anerkannte und wichtige Mitglieder ein und desselben Ordens waren. Und allem Anschein nach haben sie ähnliche politische Ansichten hinsichtlich der Zukunft der Uí Fidgente gehabt. Zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen gibt es, wenn auch selten.«
Eadulf zuckte mit den Achseln, als verstünde er nicht recht.
»Das muß nicht heißen, daß die beiden Todesfälle miteinander |114| zu tun haben. Die Äbtissin war außerhalb des Klosters unterwegs, Cináed hingegen lebte als alter ehrwürdiger Gelehrter innerhalb der Klostermauern. Die eine wurde mit einem Schwert niedergestreckt, der andere mit einem Schlag auf den Hinterkopf. Was für einen Zusammenhang sollte es da geben?«
»Das ist eben die Frage. Du sagst doch selbst, daß es offensichtlich keinen Zusammenhang gibt.« Fidelma betonte das Wort »offensichtlich«.
»Trotzdem, du scheinst einen solchen Gedanken nicht gänzlich abwegig zu finden.«
»Ich bleibe dabei – keine Mutmaßungen, erst müssen Tatsachen her. Zunächst möchte ich sehen, was Cináed geschrieben hat, das die Leute hier im Kloster so erregt und das womöglich … ich betone womöglich … zu seinem Tod geführt hat.«
»Jedesmal, wenn ich hier im westlichen Teil des Königsreiches deines Bruders bin, sind es die Uí Fidgente, die hinter all dem Unheil stecken«, stellte Bruder Eadulf sinnend fest.
»Seit Conrí ihr Kriegsherr ist, sind sie schon ruhiger geworden. Eoganáns Niederlage bei Cnoc Áine hat sie zur Besinnung gebracht. Es sind nur die, die unter den Auseinandersetzungen unmittelbar
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