Tod vor der Morgenmesse
brauchte.
»Also gut. Du hast gesagt, daß der Ehrwürdige Cináed und du ein verbotenes Liebesverhältnis miteinander hatten.«
»Verboten?«
Fidelma hatte den alten Rechtsbegriff
aindligthech
benutzt.
»Nicht statthaft. Weder durch Gesetz, Verhaltensregel noch Sitte oder Brauch geduldet.«
Röte stieg dem Mädchen in die Wangen.
»Unsere Beziehung war sehr wohl statthaft.«
»Du wußtest doch aber, daß Schwester Buan seine rechtmäßige Frau war und daß er mit ihr zusammen lebte?«
»Natürlich. Und wir haben ihr auch beide gesagt, wie es um uns steht.«
|175| »Beide?« fragte Fidelma überrascht zurück.
»Wir hatten nichts zu verheimlichen. Wenn es unrechtmäßig war, hätten wir es in Ordnung bringen können, indem Buan mich als
dormum
akzeptierte. So etwas läßt das Gesetz zu. Ich weiß das von Cináed.«
»Der Passus findet noch Anwendung, ja«, mußte Fidelma eingestehen, »wenngleich der Neue Glaube diesbezüglich seine Bedenken hat. Inzwischen hat man den Begriff
ben adaltrach
für eine Konkubine eingeführt und den früheren ersetzt. Mit Sicherheit wird man auf der nächsten Ratsversammlung, die der Hochkönig einberuft, diesen Passus streichen.«
Alle drei Jahre gab es eine solche Versammlung, auf der der Hochkönig und die Kleinkönige der Provinzen mit den führenden Kirchenmännern und Brehons aller fünf Königreiche von Éireann über die Rechtsprechung berieten und gegebenenfalls Gesetze änderten.
»Aber vorläufig gilt das Gesetz noch«, beharrte das Mädchen starrköpfig.
»Und Cináed hat es genau wie du so gewollt?«
»Selbstverständlich.«
»Und er hat das auch Schwester Buan gesagt?«
»Ja.«
Fidelma atmete tief durch.
»Und was, wenn Schwester Buan das leugnet?«
»Dann würde sie lügen.«
»Kannst du beweisen, daß er mit ihr darüber gesprochen hat? Gibt es Zeugen?«
Schwester Sinnchéne zögerte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Trotzdem, es ändert nichts an der Tatsache, daß es der Wahrheit entspricht«, erklärte sie herausfordernd.
Ihr Habit hatte sich etwas gelöst und war am Hals leicht |176| verrutscht. Fidelma erhaschte einen Blick auf eine Kette aus Halbedelsteinen.
»Schmuck wie den da erwartet man nicht unbedingt an einer Klosterschwester«, stellte sie trocken fest.
Sinnchénes Hand ging zum Hals, fingerte an dem Ausschnitt und gab die ganze Pracht einer funkelnden Silberkette frei, die mit Amethysten und Topasen besetzt war.
»Die habe ich von Cináed. Er bat mich, sie gut in acht zu nehmen und sie niemand sehen zu lassen.«
»Warum?«
»Ich denke, es schadet nichts, wenn ich es jetzt sage. Er wollte es als Beweis verstanden wissen.«
»Beweis wofür?«
»Er hat es mir nicht weiter erklärt. Vielleicht als Beweis für seine Liebe zu mir.«
»Gut, lassen wir es darauf beruhen. – An dem Abend vor seinem Tod ist der Ehrwürdige Cináed also ins Waschhaus gekommen, und du warst auch hier?«
»Richtig«, bestätigte das Mädchen.
»Wenn ich nun davon ausgehe, daß ihr ein Liebespaar wart, was außer dem Üblichen hat sich sonst noch abgespielt? Habt ihr euch unterhalten?«
Das Mädchen war erbost. »Wir waren schließlich keine Tiere«, wetterte sie los. »Natürlich haben wir uns unterhalten.«
»Und worüber? Ging es um Philosophie, Theologie, Geschichte … und um was da genau?«
Die Art und Weise, wie Fidelma jetzt mit ihr umging, war ein wenig sarkastisch, und sie war sich dessen bewußt. Ebenso wie Schwester Buan hatte auch Sinnchéne nichts mit der Gelehrsamkeit im Sinn. Vielmehr gab der Ehrwürdige Cináed ihr langsam Rätsel auf, und sie fragte sich, was für ein Mensch sich |177| wirklich hinter seinem bemerkenswerten Ruf als Gelehrter verborgen hatte.
Verdrossen sah Schwester Sinnchéne sie an. »Du mußt nicht denken, daß unsere Beziehung auf bloßer Liebeslust beruhte.«
»Ich versuche euer Verhältnis zu verstehen.«
»Wir haben uns über das Leben unterhalten, nicht über tote, muffige Bücher, nicht über das, was mal war oder sein wird oder über hochtrabende Dinge, die uns nicht unmittelbar etwas bedeuteten.«
»Über das Leben?«
»Cináed war begierig aufs Leben. Er beobachtete alles und jedes. Die Jahreszeiten, das Wetter, das Wachsen der Pflanzen. Er war ungemein aktiv. Hätte er nicht den größten Teil seines Lebens in düsteren Bibliotheken verbracht, wäre er Gärtner geworden.«
»Und darüber habt ihr euch an jenem Abend unterhalten?«
»Wir haben über den Kräutergarten gesprochen und wie man
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