Tod vor der Morgenmesse
an?« fragte Fidelma unschuldig.
»Im Kloster gab es viel Gerede über den alten Mann und eines der jungen Mädchen dort.«
Die Auskunft enttäuschte Fidelma, sie hatte gehofft, der Handelsherr würde ihr etwas Neues eröffnen.
»Weißt du Genaueres über die Affäre?«
»Eigentlich nur, daß der alte Mann ein Verhältnis mit Schwester Sinnchéne hatte. Sollte man ihn deswegen tadeln? Sie ist doch ein ganz attraktives Ding, wenngleich ich gedacht hätte, sie wäre die letzte, die sich zu ihm hingezogen fühlen könnte. Aber auch hier gilt das Sprichwort: ›Es ist nicht alles Gold, was glänzt.‹ Mir tat Schwester Buan leid.«
»Kennst du Schwester Sinnchéne näher?«
»O ja. Sie ist ein Mädchen aus dem nächsten Dorf. Ich kannte ihre Mutter.«
»Wenn ich richtig unterrichtet bin, starb ihre Mutter, während die Gelbe Pest wütete; ihr Vater hatte die Familie schon vorher verlassen. Deshalb ist sie ins Kloster gegangen. Stimmt das?«
»Das war eine traurige Geschichte. Die Mutter wurde von |216| der Pest dahingerafft, und der Vater hatte sich von seinen Leuten schon Jahre zuvor getrennt, ja. Doch das Mädchen konnte von Glück sagen, denn Äbtissin Faife nahm sich seiner an und brachte es in die Abtei. Da begann für die Kleine ein neues Leben.«
»Mich wundert, daß sie da den Namen beibehalten hat. Hatte man ihr den als Spitznamen verpaßt?«
Mugrón runzelte die Stirn und grinste dann. »Ah, dir geht es um den Namen Sinnchéne – die kleine Wölfin. Nein, das war kein Spottname. Das war das einzige, was sie mit ihrem Vater verband.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Mit dem Namen ihres Vaters, wollte ich sagen. Er war ein umherziehender Söldner im Dienste Eoganáns von den Uí Fidgente. Er hieß Wolf oder so ähnlich, wie genau, fällt mir jetzt nicht ein.«
»Es gibt doch wohl nur ein Wort für ›Wolf‹«, krittelte Eadulf.
Mugrón gab sich Mühe, Gleichmut zu bewahren. »Du sprichst unsere Sprache fast fließend, Bruder. Dennoch haben wir viele Namen, in denen der Begriff ›Wolf‹ steckt. Nimm Namen wie Conán, Cuán, Congal, Cu Chaille … Na, und euer Reisegefährte dort ist Conrí, und sein Name bedeutet ›König der Wölfe‹. Ich kann mich nicht erinnern, wie Sinnchénes Vater richtig hieß, doch ich hab noch im Ohr, daß ihre Mutter ihn
ceann an chineóil shionnchamhail
rief, und das heißt ›Häuptling des Wolfsrudels‹. Zur Erinnerung an ihn hat die Mutter ihre Tochter Sinnchéne genannt.«
»Du hast vorhin gesagt, daß du Mitleid mit Schwester Buan hattest, aber nicht mit Sinnchéne«, stellte Fidelma klar.
»So, wie die Leute redeten, mußte man glauben, das Mädchen hat den alten Gelehrten umgarnt.«
|217| »Und wenn sie Ersatz für den Vater suchte, der sich ihr entzogen hatte?« gab Fidelma zu bedenken.
»Wäre möglich. Mir ist sie immer aufgefallen als jemand, der genau weiß, was er will, und der sich durchsetzt ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer. Wahrscheinlich war da auch Eifersucht im Spiel, Streit und Zank zwischen den Frauen …«
»Willst du damit andeuten, das sei der Grund dafür, daß Cináed gewaltsam zu Tode gekommen ist?«
»Wer weiß?« Der Kaufmann zuckte die Achseln. »Wo sich Weiber zanken, da schwelt auch Eifersucht und Haß, und dieser Haß entlädt sich oft in einer Gewalttat.«
»Aber du hast selbst gesagt, du hast lediglich Gerüchte gehört.«
»Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Als ich auf meiner vorigen Reise in der Abtei war, habe ich dort viel über Zänkereien und Mißgunst gehört.«
»Du glaubst, Cináed war schon im Gerede, bevor du den Leichnam der Äbtissin entdeckt hast?« warf Fidelma ein.
Er nickte. »Noch bevor ich weiterreiste, erfuhr ich, daß Abt Erc ziemlich aufgebracht war und Äbtissin Faife es auf sich genommen hatte, sich ihm gegenüber für das Mädchen einzusetzen wegen der besagten Liebschaft. Ich glaube, Schwester Uallann hatte dem Abt die Geschichte hinterbracht, sobald sie von ihr Wind bekommen hatte.«
Fidelma preßte die Lippen zusammen. Das hatte die Heilkundige ihr allerdings verschwiegen.
»Du meinst, Äbtissin Faife hat Sinnchéne verteidigt?«
Mugrón überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich hätte sagen müssen, sie hat sich mehr für den betagten Cináed eingesetzt als für das Mädchen.«
|218| »Wie stand die Äbtissin zu dem Verhältnis? Mißbilligte sie es auch?«
»Ja. Zumindest hat man mir es so erzählt. Sie muß sehr
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