Todes Kuss
da“, sagte sie missmutig.
Meine Zofe nahm es mir sehr übel, dass ich beschlossen hatte, diese Reise zu unternehmen. Sie hatte sich schon in Paris nicht wohlgefühlt, und Afrika musste ihr wie die Hölle auf Erden erscheinen. Doch da ich wusste, wie ungehörig es gewesen wäre, mich allein einer Gruppe von Männern anzuschließen, hatte ich keine Wahl: Ich musste Meg zumindest bis Kairo mitnehmen. Um ihr den Abschied von England zu erleichtern, hatte ich ihr Amelia Edwards Reisetagebuch Tausend Meilen auf dem Nil geschenkt, in dem die Autorin ihre Eindrücke von Ägypten schildert.
„Gehen wir“, sagte ich aufmunternd.
„Nehmen Sie doch lieber Mr Davis mit, Mylady“. Meg versuchte mich ein letztes Mal umzustimmen.
„Unsinn, er muss hier nach dem Rechten sehen. Außerdem bin ich sicher, dass Ägypten Ihnen gefallen wird.“
Tatsächlich wussten nur sie und der Butler, dass ich nicht zu Ivy aufs Land fuhr. Davis wäre, da er anscheinend jeder Situation gewachsen war, bestimmt ein wunderbarer Reisegefährte gewesen. Doch wie hätte ich erklären sollen, dass ich die Begleitung meines Butlers wünschte, wenn ich nichts weiter vorhatte, als ein paar Wochen auf dem Landsitz meiner Freundin zu verbringen?
Ich rückte meinen Hut zurecht und marschierte Meg voraus zur Tür. Die Kutsche brachte uns zum Bahnhof. Kaum eine Stunde später saßen wir im Zug, der sich bald darauf in Bewegung setzte. Ich machte es mir auf meinem Sitz bequem und wechselte ein paar Sätze mit Andrew und Arthur, die sich allerdings wenig später in ihr eigenes Abteil zurückzogen.
„Mir gefällt es, bei schlechtem Wetter zu reisen“, erklärte ich Meg. „Hier in der Eisenbahn sind wir vor den Elementen geschützt. Und wenn wir unser Ziel erreichen, scheint vielleicht die Sonne.“
Zweifelnd schüttelte die Zofe den Kopf. „Ich fürchte, die Fahrt über den Ärmelkanal wird sehr ungemütlich.“
Mir fiel ein, dass die Ärmste unter Seekrankheit gelitten hatte, als wir nach unserem Parisaufenthalt das Schiff nach England genommen hatten. Also versuchte ich sie zu beruhigen. „Es regnet zwar, aber stürmisch ist es nicht. Machen Sie sich also keine Sorgen. Haben Sie eigentlich schon begonnen, das Buch zu lesen?“
„Nein, ich hatte zu viel mit den Reisevorbereitungen zu tun.“
„Nun, jetzt haben Sie eine Zeit lang überhaupt keine Pflichten. Ich selbst beabsichtige, mich in meine Lektüre zu vertiefen.“ Mit einem kleinen Lächeln holte ich Henry Ridder Haggards Geschichte über König Salomons Schatzkammer aus meiner Reisetasche. Das Buch war mir zum ersten Mal in Ashton Hall aufgefallen, wo ich es in Philips kleinem Bücherregal im Schlafzimmer entdeckt hatte. Später entdeckte ich es noch einmal in unserer Londoner Bibliothek. Inzwischen hatte ich die ersten Kapitel gelesen. Der Held Allan Quatermain gefiel mir.
Nach einer Weile fragte Meg mich, ob ich Hunger hätte, und stellte einen Picknickkorb voller Köstlichkeiten vor uns hin. Ich beschloss, Andrew und Arthur zum Essen einzuladen. Sie stimmten freudig zu, fanden es aber offenbar irgendwie unangenehm, gemeinsam mit meiner Zofe zu speisen. Meg wiederum wagte kaum, in der Gesellschaft von Gentlemen überhaupt etwas zu sich zu nehmen. Doch ich war entschlossen, keine Rücksicht darauf zu nehmen. Wir waren im Begriff, die zivilisierte Welt hinter uns zu lassen. Warum also sollten wir uns an Konventionen halten, die mir vollkommen unsinnig erschienen?
In Dover verließen wir unser Eisenbahnabteil und bestiegen das Schiff nach Calais. Vielleicht war es ganz gut gewesen, dass Meg so wenig gegessen hatte. Obwohl es keine besonders raue Überfahrt war, wurde meine arme Zofe wieder seekrank. Noch Stunden später, als wir längst im Zug nach Paris saßen, hatte ihre Haut einen grünlichen Schimmer. Auch Andrew und Arthur hatten die kurze Seereise nicht gut vertragen. Sie machten einen erschöpften Eindruck und schliefen, kaum dass wir den Bahnhof verlassen hatten. So konnte ich mich ungestört meiner Lektüre widmen.
Ich las länger in Haggards Roman, holte dann aber meine griechische Grammatik heraus. Während der letzten Tage hatte ich meine Studien vernachlässigt, doch jetzt wollte ich alles nachholen. Vergeblich! Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Philip. So legte ich die Grammatik schließlich beiseite. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand außer mir wach war, öffnete ich mein Retikül und nahm Philips Tagebuch
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