Todesahnung: Thriller (German Edition)
nichts, ehrlich, und in gewisser Hinsicht empfinde ich dies als Verbesserung.
Ich liege auf dem Rücken und blicke die Decke an. Ein leuchtendes »Ausgang«-Schild weist zur Treppe, bis zu der ich es nicht geschafft habe. Alles andere um mich herum ist weiß.
Dann taucht ein Gesicht vor mir auf.
Pferdeschwanz kauert über mir.
Er blickt auf die Waffe in meiner Hand und schüttelt wehmütig den Kopf. Schließlich drückt er zwei Finger seitlich an meinen Hals. Was tut er da? Ach ja, er fühlt meinen Puls.
»Ich lebe noch«, sage ich.
Doch er erwidert nichts. Reagiert überhaupt nicht.
»Hey, hast du mich gehört? Wer bist du überhaupt?«, will ich wissen.
Er erhebt sich, zieht sein Mobiltelefon aus der Tasche und ruft die 911 an. Ich bekomme meine Antwort.
»Ich bin Privatdetektiv«, sagt er ins Telefon, nachdem er die Schießerei gemeldet hat. »Mehrere Tote«, erklärt er weiter.
Die Polizei trifft ein, gefolgt von den Sanitätern. Geschäftiges Treiben um mich herum. Ein Sanitäter prüft erneut meinen Puls.
Eine Zeitlang verliere ich immer wieder das Bewusstsein, bis ich Pferdeschwanz höre, der einem Polizisten erklärt, er sei von Mrs Turnbull engagiert worden.
»Sie hatte ihren Mann im Verdacht, fremdzugehen. Offenbar hat der Mann dasselbe bei ihr vermutet.«
»Hoffentlich wurden Sie im Voraus bezahlt«, witzelt der Polizist.
»Meinen Sie etwa, das ist lustig?«, frage ich.
Er hört mich nicht. Niemand hört mich.
»Und wer ist diese junge Frau?«
Der Polizist deutet auf mich. Wann wird diese seltsame Situation enden? Doch wenn ich es mir recht überlege, will ich nicht, dass sie endet.
»Das Kindermädchen«, antwortet Pferdeschwanz. »Mit ihr hatte der Ehemann ein Verhältnis.«
»Sie haben sie also observiert, sofern ich Ihnen bis hierher folgen kann?«
»Ja, das stimmt. Mrs Turnbull wollte sehen, ob ich etwas über sie herausfinde. Wegen der Scheidung, vermute ich. Irgendwie tut mir die junge Frau hier aber leid. Sie heißt Kristin. Sie war jung und der Sache nicht gewachsen. Ich habe sogar versucht, ihr Angst einzujagen in der Hoffnung, sie würde die Beziehung mit dem Ehemann aufgeben, der ein echter Wichser war.«
»Aber jetzt liegt sie hier mit einer Waffe in der Hand«, stellt der Polizist fest. »Sie hat die Sache zusammen mit dem Ehemann ausbaldowert, oder?«
»Da bin ich mir nicht sicher«, antwortet Pferdeschwanz. »Ich habe sie aus den Augen verloren, als sie das Hotel betrat, aber so, wie sie gerannt ist, glaube ich, dass sie versucht hat, die Morde aufzuhalten.«
Der Polizist seufzt. »Eine Schande ist es trotzdem. Jetzt sind zwei kleine Kinder ohne Eltern.«
»Und ohne Kindermädchen. Ich weiß, dass die Kinder sie sehr mochten.«
Der Polizist nickt und zuckt mit den Schultern. »Das würde die Sache erklären.«
»Was meinen Sie?«
»Wir haben einen Streifenwagen zu der Schule geschickt, weil die Tochter vermisst gemeldet wurde. Sieben Jahre alt. Vor einer Minute habe ich aber erfahren, dass man sie gefunden hat.«
»Lebendig?«
»Oh, ja. Ihr geht’s gut. Wenn man so sagen kann.«
»Wo hat sie gesteckt?«
»Zu Hause. Sie sagte, sie sei von der Schule abgehauen, weil sie sich um das Kindermädchen Sorgen machte. Sie wollte bei ihr sein.«
»Sie heißt Dakota. Wusste sie etwas?«
»Sie behauptet, nein. Hatte nur ein komisches Gefühl. Als sie zu Hause ankam, war natürlich niemand zu Hause.«
Als die beiden fortgehen, kann ich nur an Dakota und Sean denken. Ich muss bei ihnen sein. Der kleine Sean wird so viele Fragen haben.
Wieder schreie ich vergeblich. Warum hört mich niemand? Ich schreie und schreie, genau wie in meinem Traum.
Bin ich etwa schon tot?
Aber ich kann sehen. Ich kann hören.
Verdammt, was ist denn hier los?
»Genau«, meldet sich eine Stimme zu Wort, die ich kenne.
108
Ich sehe sein verzerrtes Spiegelbild im »Ausgang«-Schild. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Er steht in der Tür gleich neben mir und könnte nicht unheimlicher aussehen.
Frank Delmonico.
Er tritt in den Flur hinaus. In dem Zimmer, aus dem er kommt, herrscht tiefste Finsternis.
Und die Musik aus meinem Traum spielt in diesem Zimmer.
Es ist dasselbe Zimmer, an dessen Tür ich gestern mit den Fäusten geschlagen habe.
Aber niemand hat aufgemacht.
Die Musik hüllt mich ein. Und zum ersten Mal, seit das Lied in meinem Kopf Wurzeln gefasst hat wie Unkraut, höre ich noch etwas anderes.
Worte.
And the seasons
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