Todesakt: Thriller (German Edition)
sagen oder tun, das noch etwas ändern würde.«
Harry hatte den Tisch umrundet und sich hinter seinen Vater gestellt. Lena empfand die Blicke der beiden als hasserfüllt und beklemmend. Mit Zorn hätte sie umgehen können. Das wäre zu erwarten und außerdem verständlich gewesen. Allerdings hatte Lenas angespannte Stimmung weder etwas mit Vater und Sohn noch mit dem Grund ihres Besuchs zu tun, sondern mit dem, was sich jenseits der Terrassentür hinter ihrem Rücken abspielte. Sie konnte den Lichtpunkt von Tim Hights Zigarette im Fenster des Wintergartens erkennen. Der Mann beobachtete sie, und er war ganz nah. Nur die Auffahrt trennte sie voneinander.
Lena versuchte, nicht darauf zu achten, und hielt sich vor Augen, dass Rhodes irgendwo da draußen den Gaffer im Auge behielt.
»Trotzdem mein Beileid«, sagte sie. »Ich weiß, dass Sie es nicht aus meinem Mund hören möchten, aber es ist ehrlich gemeint.«
William Gant schwieg. Seine Augen wanderten von Lena zu einem Gegenstand in seiner Hand. Es war ein kleines Foto. Als er es auf den Tisch legte, konnte Lena einen Blick darauf erhaschen. Ein Familienfoto, das William Gant und seine beiden Söhne zeigte. Sie standen warm angezogen an Bord eines Schiffes. Dicht vor dem Bug schwamm ein Wal. Alle drei schauten gebannt und mit einem breiten Lächeln auf das Tier.
Als Gant bemerkte, dass sie das Foto betrachtete, hielt er die Hand darüber.
»Ich glaube, wir sind fertig. Sie sollten jetzt gehen.«
»Wir müssen noch einen Termin vereinbaren, damit Sie Ihren Sohn in der Gerichtsmedizin identifizieren können.«
»Das wurde bereits erledigt«, entgegnete er.
»Von wem?«
»Von Buddy Paladino, dem Anwalt meines Sohnes.«
Der Satz schwebte im Raum. Also hatte Paladino Gant vor anderthalb Stunden mitgeteilt, dass sein Sohn tot war. Rhodes hatte recht. Die undichte Stelle hatte sich in ein sprudelndes Leck verwandelt, noch ehe sie überhaupt mit den Ermittlungen begonnen hatte.
»Was ist mit den Umständen, unter denen Ihr Sohn zu Tode gekommen ist?«, fragte sie.
Gant schüttelte den Kopf. Er stieß die Wörter hervor, als spucke er etwas Vergiftetes aus.
»Die Umstände, unter denen mein Sohn zu Tode gekommen ist«, höhnte er. »Das klingt gut.«
»Wissen Sie, was er im Club 3 AM wollte?«
Weder Vater noch Sohn antworteten. In ihrem Blick lag derselbe Ausdruck wie bei Escabar – Verzweiflung, gemischt mit Abscheu. Sie schaute rasch zu der Terrassentür, Hight saß noch immer am Fenster. Der Lichtpunkt seiner Zigarette durchdrang weiterhin die Dunkelheit.
»Was ist mit Johnny Bosco?«, fragte sie. »Warum war Jacob bei ihm?«
Der Vater schob die Kaffeetasse weg.
»Keine Ahnung.«
In Harrys Miene regte sich etwas, und Lena wandte sich an ihn.
»Kannten Sie Johnny Bosco? Wissen Sie, was Ihr Bruder von ihm wollte, Harry? Hat er vielleicht gekokst?«
Der Junge antwortete nicht. Offenbar machte es ihn nervös, direkt angesprochen zu werden. Als Lena die Frage wiederholte, verhärteten sich seine Züge.
»Mein Bruder hat keine Drogen genommen«, erwiderte er schließlich. »Und Sie sind nichts weiter als eine blöde Bullenschlampe. Warum lassen Sie uns nicht einfach in Ruhe, verdammt?«
Er drängte sich an seinem Vater vorbei und stürmte hinaus. Kurz darauf knallte im Obergeschoss eine Tür zu. Gant steckte den Schnappschuss ein und stand vom Tisch auf. Interessanterweise wandte er Lena den Rücken zu, um durch die Terrassentür zu spähen. Offenbar hatte er die ganze Zeit über gewusst, dass Hight sie beobachtete.
»Ich will, dass Sie jetzt gehen«, sagte er, während er noch immer auf die Einfahrt schaute. »Sie verhalten sich wie erwartet, Detective, und ich gönne meinem Nachbarn, diesem Arschloch, die Genugtuung nicht, mich wütend zu sehen. Denn genau das möchte er. Deshalb glotzt er ja dauernd rüber. Warum klopfen Sie nicht gleich bei ihm an und fragen ihn, ob er sich jetzt besser fühlt? Ich sehe die Nachrichtenmeldungen schon vor mir. Man wird den Mann, der meinen Jungen auf dem Gewissen hat, als Helden verehren und wahrscheinlich noch eine Straße nach dem elenden Wicht benennen. Ich wette, Sie bei der Polizei sind froh darüber, wie die Sache gelaufen ist. Nicht kurzfristig betrachtet, weil Sie jetzt wie die verblödeten Idioten dastehen, die Sie ja auch sind. Aber langfristig, denn nun sind Sie das Problem endlich los.«
»Niemand ist irgendein Problem los, Mr Gant.«
Gant wandte sich vom Fenster ab und musterte sie. Er zitterte vor
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