Todesangst
STRIPTEASEMIEZE starrte. Er nahm die Zeitung mit der linken Hand hoch und schaute sich nochmals das Bild von Carol Donner an. Die Vorstellung, daß sein Kollege mit einem solchen Mädchen zusammengelebt hatte, verblüffte ihn einfach. Howard fragte sich, ob Hayes wohl ein Opfer der uralten Männerphantasie von der Rettung des leichten Mädchens geworden sei, das sich trotz seines Berufes ein goldenes Herz bewahrt hatte. Doch wenn er daran dachte, daß Hayes ein Kollege war mit genau dem gleichen Hintergrund wie er selbst, einschließlich derselben medizinischen Fakultät, dann kam ihm eine solche Vorstellung völlig an den Haaren herbeigezogen vor. Aber hatte nicht Curran gesagt, Tatsachen seien schließlich Tatsachen? Offensichtlich hatte Alvin Hayes nun einmal mit dem Mädchen zusammengelebt. Howard schob die Zeitung beiseite.
Nachdem er noch rasch durchgelesen hatte, was er über trockene Haut hatte finden können - es war nicht sonderlich viel -, trug er das benutzte Geschirr in die Küche und spülte es dort ab. Dabei konnte er das Foto von Carol Donner, die ihr Gesicht mit der Hand abschirmte, nicht aus seinen Gedanken verdrängen. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr - es war halb elf. »Warum eigentlich nicht«, sagte er dann laut. Alles in allem - wenn Alvin Hayes mit dieser Frau zusammengelebt hatte, dann konnte sie ihm vielleicht einen Hinweis darauf geben, was dieser mit seiner Bemerkung über eine bahnbrechende Entdeckung tatsächlich gemeint haben mochte. Verlieren konnte er dabei jedenfalls nichts. Jason Howard zog sich einen dünnen Pullover an und eine Tweedjacke darüber und verließ das Haus.
Vom Beacon Hill zum Vergnügungsviertel brauchte man nicht mehr als eine Viertelstunde. Der äußerliche und gesellschaftliche Unterschied war jedoch weit größer als der zeitliche Abstand. Beacon Hill war der Inbegriff von bürgerlicher Behäbigkeit, Solidität und Wohlanständigkeit, mit seinen Gaslaternen und den gepflasterten Straßen. Das Rotlichtviertel dagegen war das trübe absolute Gegenteil. Jason Howard gelangte dorthin vorbei am alten Park Boston Common über die Boylston Street und landete an der Washington Street mit ihren schmierigen Bars. Dort vermengten sich ungezwungen herumstreunende Gruppen von Leuten aus dem dortigen Milieu mit neugierig bummelnden Studenten und lederjackenbekleideten Arbeitern aus Dorchester. Das ›Club Cabaret‹ lag etwa in der Mitte eines Straßenblocks, eingerahmt von einem Sexfilmkino und einem Laden mit Büchern »nur für Erwachsene«. Das Hinweisschild COLLEGE-MÄDCHEN OBEN OHNE verkündete in Leuchtschrift weithin seine Botschaft.
Dr. Howard stieg die Stufen zum Eingang hinauf und ging hinein. Er fand sich in der Bar, einem langgestreckten, dunklen Raum, dessen Lichtquellen in der Mitte konzentriert waren, wo sie einen hölzernen Laufsteg anstrahlten. Die Theke war U-förmig um den Laufsteg herumgebaut. Dahinter befanden sich schmale Nischen; Rockmusik aus großen Lautsprechern zu beiden Seiten der Stufen, die von einer erhöhten Bühne auf den Laufsteg führten, erfüllte den Raum.
Die Luft war geschwängert mit Zigarettenrauch und diesem besonderen Geruch nach billigem Raum-Deodorant. Das Lokal war ziemlich dicht besetzt mit Männern, die an der Bar vor ihrem Drink saßen. In die Nischen war nur schwer hineinzusehen, aber Howard konnte dort beim Vorbeischlendern eine Reihe von Mädchen in betont kurzen Kleidern mit Spaghettiträgern erkennen. Schließlich fand er einen freien Stuhl an der Bar. Eine Kellnerin in engen schwarzen Shorts und einem weißen anliegenden Oberteil nahm sehr prompt seine Bestellung entgegen.
Als sie das von ihm gewünschte Bier und ein Glas brachte, kam eine halbnackte Tänzerin die Stufen herunter und stakste den Laufsteg entlang. Howard betrachtete sie, und sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie schien gelangweilt; ihr Gesicht war stark geschminkt, ihr gebleichtes Haar wirkte wie Stroh. Howard schätzte sie auf gut Dreißig - ein College-Mädchen war das jedenfalls nicht.
Dr. Howard schaute sich ein bißchen um und entdeckte den gleichen Ausdruck von Langeweile auch auf den Gesichtern der Männer, während ihre Augen die Bewegungen der Tänzerin auf dem Laufsteg verfolgten. Der Arzt trank sein Bier aus der Flasche - an einem Ort wie diesem schien es ihm nicht ratsam, seine Lippen mit einem Glas in Berührung zu bringen.
Als das Musikstück, in dessen Rhythmus sie sich bewegt hatte, ausklang, ließ sich die junge Frau für
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