Todesblueten
bleiben.«
Ich wollte auch nicht bei diesen Leuten stehen bleiben. Immer wieder hatte ich die aufgequollene Haut vor Augen. Stellte mir vor, dass ich es war, die da im Wasser trieb, und dass mich alle hemmungslos anstarrten. Was für ein grauenvoller Gedanke.
Wir setzten uns ein Stück weiter weg auf den Fußweg.
»Alex!«, rief Melanie und winkte ihm. »Nun kommt doch mal!«
Die beiden Jungs kamen näher, sie schienen sich über irgendetwas zu streiten, hörten aber auf, noch bevor sie uns erreichten.
»Wahnsinn«, sagte Alex. »Hab noch nie 'ne Wasserleiche gesehen. Und das in so einem verpennten Kaff.«
Ich schoss ihm einen wütenden Blick zu. Er war einfach unglaublich. Wenn er jetzt noch verkünden würde, dass der Anblick »voll der Gehirntod« gewesen war, dann konnte ich für nichts garantieren.
»Was meint ihr, was mit der passiert ist?«, fragte Melanie leise.
»Na, ertrunken«, antwortete Alex.
»David?« Ich sah ihn direkt an.
»Hm?«
»Wie wär's mit der Wahrheit? Du kennst doch das Mädchen. Ich hab euch zusammen gesehen. Gestern am Café.«
»Ach, das.« Er wühlte sich durch die Haare, als sei ihm diese Begegnung eben erst wieder eingefallen. »Ja, du hast recht. Die hat mich gestern nach dem Weg zum Campingplatz gefragt.«
»Ach, wirklich?« So hatte das aber nicht ausgesehen.
»Ja, klar.« Er hielt meinem Blick stand. In seinenAugen flackerte kurz etwas auf. Spott? Oder bildete ich mir das alles nur ein? Ich wusste langsam selbst nicht mehr, was ich eigentlich gesehen hatte.
»Und nun?«, fragte Melanie. »Was machen wir denn jetzt?«
»Was zu trinken einkaufen?«, schlug Alex vor. »Bald ist Wochenende.«
»Wie kannst du denn jetzt ans Saufen denken?«, platzte ich heraus.
»Was schlägst du denn vor? Hier warten, bis die
Bild
-Zeitung auftaucht?«
»Nein. Ich meinte . . .« Ich verstummte. Was wollte ich eigentlich? Ich gab mir einen Ruck. »Ich meinte, ob wir überhaupt hierbleiben wollen. Oder wieder abfahren.«
»Warum?« Alex sah mich entgeistert an. »Wegen der Wasserleiche?«
»Sag das nicht so! Das Mädchen hatte schließlich einen Namen!«, fuhr Melanie ihn an.
»Sicher, aber den weiß ich ja nicht.«
David kennt ihn bestimmt, dachte ich.
»Passt auf, das ist doch Blödsinn, jetzt deswegen abzuhauen. Außerdem ist heute große Party auf dem Campingplatz, habe ich gestern gehört. Das wird voll . . .« Alex brach ab. Melanie hatte ihn angestoßen. Doch dann gab sie ihm unerwartet recht.
»Wir sollten bleiben. Überleg doch mal, Clara. Was willst du denn deinen Eltern erzählen, warum du plötzlich eher nach Hause kommst?«
Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht.
»Meinst du, die lassen dich in nächster Zeit irgendwo alleine hin, wenn die erfahren, dass hier tote Mädchen im Wasser schwimmen?« Alex grinste mich an. Natürlich – er wollte sein Schlafzimmer mit Mellie nicht aufgeben. Aber recht hatte er leider doch.
»Was meinst du?«, wandte er sich an David.
Der schien gar nicht richtig da zu sein. Er guckte immer wieder zum Kanal hinüber. Zog die Stirn kraus. »Wir bleiben«, sagte er nach einer Weile, als wir schon gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatten. »Vielleicht erfahren wir dann auch, was mit ihr passiert ist.«
In diesem Moment fiel mir auf, dass ich sein Handy seit gestern Abend nicht mehr gehört hatte. Normalerweise vibrierte und jingelte es die ganze Zeit, selbst nachts, weshalb ich dauernd aufwachte.
Offenbar hatte er keine Nachrichten mehr bekommen, seit er gestern Abend mitsamt seinem schlammigen Geruch auf sein Lager gekrochen war.
7.
Letztendlich paddelten wir am frühen Nachmittag wieder zu unserem Hausboot zurück. Wir hatten uns darauf geeinigt, am Abend zurückzukommen und auf dem Campingplatz vorbeizuschauen. Vielleicht stieg da ja wirklich eine Riesenparty. Gut zum Ablenken. Außerdem hatte ich das Mädchen ja überhaupt nicht gekannt, und ob ich nun auf eine Party ging oder nicht, spielte ja für sie auch keine Rolle mehr. Überall in Lübbenau standen Leute herum – Touristen, Rentner, Stocherkahnfahrer – und diskutierten den Todesfall. Die Leiche des Mädchens war mittlerweile abtransportiert worden, aber deswegen gingen die Leute noch lange nicht nach Hause. Außerdem fiel mir auf, wie Mellie und mich gelegentlich mitleidige Blicke trafen. Weil wir jung waren? So alt wie das unbekannte Mädchen? Und weil junge Mädchen nicht so einfach im flachen Wasser ertranken? Weil – was keiner aussprach
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