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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Mädchen verstummte erschrocken. »Wieso?«, fragte sie dann atemlos.
    Jemand knallte von hinten gegen mich. Ich machte einen unfreiwilligen Satz nach vorn und sah, dass das Mädchen total dreckige Füße hatte und ihr Rockunten ganz zerrissen war. Als ich wieder hochkam, stand plötzlich ein Junge neben ihr und sie schmiegte sich an ihn. Ein unheimlich gut aussehender Typ. Wie kam so ein Trampel zu so einem tollen Kerl? Und wieso meldete Tobi-Blödmann sich nicht? War ich ihm zu hässlich, oder was?
    »Sie meint, es war kein Selbstmord«, sagte das Mädchen jetzt zu ihrem Typen. »Oh Gott, Leon, wenn das stimmt, musst du heute die ganze Nacht bei mir bleiben.« Sie schlang ihre Arme um den Jungen und quetschte ihren Busen an seine Rippen. Er schob sie weg. »Das mit dem Selbstmord glaube ich auch nicht«, sagte er und zwinkerte uns zu. Jetzt bemerkte ich, dass er gar nicht so jung war, wie ich gedacht hatte. Er war mindestens Mitte zwanzig. »Mensch, du frierst ja total, Chantal«, sagte er. »Geh mal und zieh dir was an.«
    Chantal sah ihn unsicher an, dann zog sie einen Schmollmund und wankte davon. Sie gehörten also nicht zusammen. Ich bekam sofort gute Laune.
    »Wie gemein«, prustete Melanie. »Jetzt gibt sie sich erst recht die Kante.« Wir sahen alle drei zu Chantal, die beim erstbesten Typen stehen geblieben war und jetzt aus dessen Bierflasche trank.
    Leon zog belustigt die Augenbrauen hoch. »Ihr seht jedenfalls im Bikini tausendmal besser aus«, meinte er.
    »Woher willst du das wissen?«, fragte ich. Der Sangria schmeckte grauenvoll, machte mich aber ein bisschen mutiger.
    »Ich weiß es eben.«
    »Das stellt er sich gerade vor.« Melanie grinste anzüglich und stemmte ihre Hand in die Hüfte wie ein Model. Meine Güte, konnte sie sich nicht ein Mal ein bisschen zurückhalten? Sie hatte schließlich ihren Alex, da konnte sie mir doch wirklich mal diesen Leon überlassen. Ich betrachtete ihn heimlich, seine dunklen Augen, die ein bisschen zu nah beieinanderstanden und ihm etwas Geheimnisvolles verliehen, die gerade Nase, den leichten Bartschatten. Nicht so ein Baby wie Tobi, ging es mir durch den Kopf.
    »Mellie?« Alex kam auf uns zu, in jeder Hand einen Becher. Als er Leon erblickte, verengten sich seine Augen.
    »Dein Freund kommt«, sagte ich laut zu Melanie. Sie verzog leicht das Gesicht. Hinter Alex tauchte jetzt David auf und in diesem Moment veränderte sich etwas in Leons Gesichtsausdruck. Es war so unmerklich, dass wahrscheinlich niemand außer mir es sah, und doch war da was, ganz ohne Frage. Kannten die beiden sich? Denn auch David schien eine Sekunde lang zu stutzen, als er Leon erblickte. Dann sah er rasch weg.
    »Da drüben machen sie 'ne Wette, wer es schafft, den Eimer leer zu trinken«, informierte uns Alex. »Los, komm.« Er schnappte Melanie und zog sie mit sich. Ich drehte mich zu Leon um, aber er war wie vom Erdboden verschwunden. Und mir fiel ein, dass ich ihn doch gar nicht gefragt hatte, warum er auch nicht an einen Selbstmord des Mädchens glaubte.
     
    Später in der Nacht konnte ich nicht einschlafen. Alex und Melanie hatten sich erst lautstark gestritten und anschließend ebenso laut versöhnt. Schwer zu sagen, was schlimmer war. Ich hatte versucht, mein Buch zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren, die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen. Nie wieder Sangria. Außerdem dachte ich an Leon und wie schade es war, dass er auf einmal verschwunden war. Und daran, dass er auch nicht an einen Selbstmord glaubte. Immer wieder tauchte das Bild des toten Mädchens vor mir auf. Die wächserne Haut, die schlammigen Haare . . . Hoffentlich würde ich nicht davon träumen. Ob ihre Eltern schon wussten, dass sie tot war?
    David lag auf der Couch und hatte die Augen geschlossen, aber ich wusste, dass er noch nicht schlief, denn er warf sich immer wieder hin und her. »David«, versuchte ich es jetzt noch mal. »Meinst du, die Eltern des toten Mädchens sind schon benachrichtigt worden?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich meine nur   – wenn niemand weiß, wer sie ist, dann kann ja auch niemand ihren Eltern Bescheid sagen.«
    Schweigen.
    »David? Kennst du vielleicht ihre Eltern?«
    »Nee.«
    Er schälte sich aus seiner Lagerstatt und ging ins Freie, um eine zu rauchen. Ich folgte ihm, denn ichkonnte sowieso nicht schlafen. Gemeinsam standen wir in der Dunkelheit und rauchten und blickten auf den See hinaus, der jetzt, mitten in der Nacht, aussah wie ein tiefes, schwarzes Loch. Um uns

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