Todesblueten
Ich rutschte ein Stück zur Seite, weil mir ein Steinchen in den Rücken pikste. Der Stein war immer noch da. Seufzend richtete ich mich auf und klaubte ihn aus dem Gras. Ich wollte ihn gerade wegschmeißen, als ich aus den Augenwinkeln seine seltsame Farbe wahrnahm. Azurblau. Mit kleinen Löchern in der Mitte. Dort war er an einer Kette befestigt gewesen. Eine Kette, die ich zuletzt am Hals eines toten Mädchens gesehen hatte. Ich ließ den Stein fallen, als ob er glühte. Meine unbeschwerte Stimmung war schlagartig verflogen. Das Mädchen
war
hier gewesen, jetzt gab es für mich keinen Zweifel mehr.
Als wir zum Hausboot zurückkamen, waren Alex und David nirgendwo zu sehen. Der Angler war ebenfalls verschwunden und unser eines Paddelboot war auch weg. Alex und David waren wohl tatsächlich in die Stadt gefahren. Ein Nachmittag ohne Bier war offenbar unvorstellbar. Überall an den Kanälen befanden sich kleine Cafés und Kneipen, in die man einkehren konnte. Manchmal standen die Leute direkt amWasser und verkauften kalte Getränke, Kaffee, Eis oder saure Gurken direkt in die Boote hinein. Man musste nicht mal aufstehen und aussteigen. Man konnte sich das Bier mehr oder weniger von oben in den Mund kippen lassen, wie im Schlaraffenland.
Gut. Endlich konnte ich mit Melanie Klartext reden.
»Weißt du, was ich hier habe?«, begann ich. Den Stein hatte ich doch wieder aufgehoben und in die Taschen meiner Shorts gesteckt. Überraschung für David. Jetzt holte ich ihn heraus und hielt ihn Melanie hin.
»Hm?«, machte sie träge.
»Der Stein stammt von der Halskette des toten Mädchens. Habe ich eben im Wald gefunden, wo wir waren.«
»Wie meinst du das jetzt?«
Ungeduldig hob ich den Stein höher. »Da! Die hatte so eine Kette um mit genau solchen Steinen dran und einen davon habe ich eben hier gefunden!«
»Na und? Weißt du, wie viel Krempel hier überall rumliegt? Woher willst du wissen, dass der von ihrer Kette stammt?«
»Weil das nicht alles ist. Gestern kam hier was im Wasser angeschwommen.«
Sie seufzte übertrieben geduldig. »Und was?«
»Die Tasche des toten Mädchens.«
»Wie jetzt?« Verwirrt sah sie mich an.
»Gestern Abend. David hat sie auch gesehen, obwohl er es abgestritten hat. Und jetzt ist sie weg, David muss sie irgendwo versteckt haben.«
»Spinnst du? Was für eine Tasche?«
»Mellie, ich hab's genau gesehen. Ich kann sie nicht finden, hab schon überall geguckt. Wenn ich sie auftreibe, kann ich es dir beweisen.« Plötzlich kam mir eine Idee. »Kannst du mal unter den Steg tauchen? Vielleicht klemmt sie ja da oder er hat sie dort versteckt.«
Jetzt lachte Melanie. »Clara, nee, komm. Ich tauche doch nicht da runter. Weißt du, wie viel grünes Schleimzeug da hängt? Und meine Wimperntusche? Und nur wegen irgendeiner Tasche, die da vielleicht gar nicht ist? Wie kommst du überhaupt darauf?«
»Weil ich sie gesehen habe. An dem toten Mädchen. Das heißt natürlich, als sie noch gelebt hat.« Ich verhaspelte mich. Irgendwie konnte ich nicht so richtig erklären, was ich meinte. Drüben bei Leon klappte jetzt die Tür auf. Ein Stuhl scharrte. Wie es aussah, machte er es sich auf dem Deck zum See hin bequem. Melanie reckte den Hals. »Ach Quatsch«, sagte sie abwesend. »Das war bestimmt irgend 'ne andere Tasche. Du hast doch selbst gehört, dass die Leute ihren Müll hier überall hinschmeißen.«
»Nein, ich sag's dir . . .«
»Leon!«
Sie hörte mir gar nicht mehr zu. Sie stand auf, damit er ja keinen Zweifel hatte, wer hier nach ihmrief, und wedelte mit der Hand. »Bist du fertig mit deinem Buch?«
»Noch nicht«, kam es zurück.
»Ach so.« Sie klang enttäuscht.
»Mellie, tauch doch bitte mal da runter, ich würde es ja selber machen, aber ich trau mich nicht so richtig in das trübe Wasser mit meinem Verband.«
»Ich tauch da jetzt nicht hin! Ich kann überhaupt nicht tauchen.« Sie klang gereizt. »Ich geh baden.« Damit kletterte sie unter großem Tamtam die kleine Leiter hinunter und ließ sich in den See gleiten. Sofort nahm sie Kurs auf Leons Hausboot.
»Danke!«, sagte ich wütend. Unser gemeinsames Lachen und die Fotos schienen Lichtjahre her zu sein. Ich sah ihr hinterher, wie sie sich gewollt graziös mit kleinen Schwimmzügen durch das Wasser bewegte. Wenn ich nicht so sauer gewesen wäre, hätte ich fast darüber lachen können, denn Melanie schwamm im Oma-Stil. Sehr sexy. Als sie endlich bei Leon ankam, musste sie sich erst mal an seinem Steg festhalten,
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