Todesbote
könnten, für das kein Ende abzusehen ist«, hieà es.
»Im Moment haben Polizisten rund um die Welt die ungeklärten Mordfälle wiederaufgenommen und suchen nach allem, was auf einen Serienmörder deuten könnte. Allerdings gibt es keine Zeugen, kein lebendes Opfer, keine verwertbaren Spuren vom Täter. CBS-Korrespondent Bob Simon hat mit einigen Detectives gesprochen.«
Filmausschnitte wurden gezeigt. Pensionierte Polizisten wurden in ihren Wohnungen befragt. Ich war überrascht über ihre düsteren Gesichter und zitternden Stimmen. Einer der Polizisten hatte Tränen in den Augen, als er die Fotos einer ermordeten Zwölfjährigen zeigte, deren Mörder noch immer nicht gefunden worden war.
Ich schaltete den Fernseher aus, legte die Hände vors Gesicht und weinte.
Henri lebte in meinem Gehirn â in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Ich kannte seine Methoden, seine Opfer, und jetzt passte ich meinen Schreibstil dem Rhythmus seiner Stimme an.
Manchmal â und das bereitete mir wirklich Angst -, manchmal dachte ich, ich wäre er.
Ich öffnete ein Bier und trank es vor dem offenen Kühlschrank. Wieder am Rechner, ging ich ins Internet und holte meine E-Mails ab, etwas, das ich nicht mehr getan hatte, seit ich mit Amanda zum Wochenende weggefahren war.
Ich öffnete ein Dutzend E-Mails, bevor ich zu der kam, in der im Betreff »Sind alle zufrieden?« stand. Es gab einen Anhang zu dieser Mail.
Meine Finger erstarrten über der Tastatur. Ich erkannte den Absender nicht, doch ich blickte die Kopfzeile sehr lange an, bevor ich die Nachricht öffnete: »Ben, ich arbeite immer noch wie ein Verrückter. Und Sie?«
Die Nachricht war mit H. B. unterzeichnet.
Ich berührte den Klebestreifen an meiner linken Seite, unter dem sich der kleine Sender abzeichnete und meinen Standort an Henris Rechner weitergab.
Dann lud ich den Anhang herunter.
101
Das Video begann mit grellem Licht und einer Nahaufnahme von Henris digital verfremdetem Gesicht. Er drehte sich um und ging zu einem Himmelbett in einem, wie es aussah, sehr teuren Hotelzimmer mit kunstvollen Möbeln und Lilienmuster, das sich in den Vorhängen, auf dem Teppich und den Polstern wiederholte.
Mein Blick wanderte zum Bett, wo eine nackte Frau mit dem Gesicht nach unten lag. Ihre Hände waren nach oben ausgestreckt, und sie zog an den Seilen, mit denen ihre Handgelenke an die Bettpfosten gefesselt waren.
Oh, nein, schoss es mir durch den Kopf, nicht das schon wieder!
Henri legte sich neben ihr aufs Bett, wo sich die beiden lässig unterhielten. Ich verstand nicht, worüber sie redeten, bis sie ihn mit lauter Stimme aufforderte, sie loszubinden.
Diese Sache hier war anders als beim letzten Video.
Die Furchtlosigkeit in ihrer Stimme wunderte mich. War sie eine gute Schauspielerin? Oder konnte sie sich nicht vorstellen, worin der Höhepunkt bestand?
Ich drückte die Pausentaste.
Henris Neunzig-Sekunden-Ausschnitt von Kim McDanielsâ Hinrichtung tauchte in allen Einzelheiten vor meinem geistigen Auge auf. Nie würde ich ihr Gesicht vergessen. Es war von Schmerz gezeichnet, obwohl Henri bereits ihren Kopf vom Körper abgetrennt hatte.
Ich wollte meiner mentalen Videoliste nicht noch eine
Henri-Benoit-Produktion hinzufügen. Ich wollte mir diesen Film nicht weiter ansehen.
Auf der Traction Street herrschte an diesem Sonntagabend reges Treiben. Jemand spielte auf der Gitarre »Oh, Domino«, Touristen applaudierten, Reifen zischten über den Asphalt vor meinem Fenster. Ein paar Wochen zuvor wäre ich an einem Abend wie diesem nach unten gegangen und hätte im Moeâs ein paar Bier getrunken.
Ich wünschte, ich könnte es jetzt tun. Aber ich konnte nicht fortlaufen.
Ich klickte auf die Abspieltaste â Henri warf der Frau vor, sie wolle immer nur ihren eigenen Spaà haben. »Alles hat seinen Preis«, sagte er lachend, griff zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.
Das Eingangsbild des Hotels erschien, dann gab die Nachrichtensprecherin auf CNN die Sportergebnisse bekannt, zumeist FuÃball. Eine andere Sprecherin fasste die verschiedenen internationalen Finanzmärkte zusammen, bis schlieÃlich die neuesten Meldungen über die beiden Mädchen gebracht wurden, die in Barbados getötet worden waren.
Auf dem Video schaltete Henri den Fernseher ab. Er setzte sich rittlings auf die nackte Frau und legte seine
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