Todesbraeute
Liedchen?« Sie summte die Tonfolge, die Hope am Tag zuvor so oft gespielt hatte.
Die Nonne runzelte die Stirn. »Nein. Aber ich komme in letzter Zeit nicht viel raus. Bleiben Sie da. Ich bin gleich zurück.« Sie schloss die Tür und ließ Alex und Hatton stehen.
Und so standen sie eine lange Zeit.
Hatton sah auf die Uhr. »Wir müssen wirklich los. Vartanian wird gleich hier sein.«
»Nur noch eine Minute. Bitte.« Die Minute verstrich, und Alex seufzte. »Okay, sie wird wohl nicht wiederkommen. Gehen wir.«
Sie waren beinahe wieder auf der Straße, als die Nonne den Kopf durch die Tür steckte. Ihre Miene war finster. »Ich habe doch gesagt, ich komme zurück.« »Na ja, wir haben lange gewartet. Ich dachte, Sie hätten es sich anders überlegt«, sagte Alex.
»Ich bin sechsundachtzig«, fuhr die Nonne sie an. »Da hüpft man nicht mehr durch die Gänge. Hier. Reden Sie mal mit ihr.« Sie öffnete die Tür ein Stückchen weiter, und sie entdeckten eine zweite Nonne, die nur wenig jünger war als ihre Gefährtin. »Sag's ihnen, Mary Katherine.« Mary Katherine blickte ängstlich die Straße hinauf und hinab. »Erkundigen Sie sich im Woodruff Park«, flüsterte sie.
Alex sah zu Hatton. »Wo?«
»Woodruff Park. Da versammeln sich Musiker«, erklärte er. »Sollten wir dort nach jemand Besonderem Ausschau halten, Schwester?«
Mary Katherine schürzte die Lippen, und die andere Nonne stieß sie sanft an. »Nun sag es ihnen schon.« »Sie haben die Melodie schon gehört?«, fragte Alex, und Mary Katherine nickte.
»Bailey hat sie letzten Sonntag vor sich hingesummt, während sie ihre Pfannkuchen gemacht hat. Sie sah so traurig aus. Und das Lied klang auch traurig. Als ich fragte, was sie da singt, sah sie mich ganz erschrocken an. Es sei bloß ein Lied, das sie im Radio gehört hätte. Aber Hope meinte, nein, nicht im Radio, ob ihre Mami sich denn nicht erinnern würde, dass Opa das auf der Flöte gespielt hätte?« Alex erstarrte. Hopes Zauberstab.
»Und wie hat Bailey reagiert?«, wollte Hatton wissen, und sie wusste, dass er dasselbe dachte.
»Sie wurde ganz hektisch und schickte Hope zum Tischdecken. Hope würde jeden Mann mit Bart für ihren Opa halten, sagte sie, aber es sei bloß irgendein betrunkener Penner gewesen, der an einer Straßenecke Flöte gespielt habe.«
Alex runzelte die Stirn. »Aber Schwester Anne meinte, sie glaube nicht, dass Bailey ihren Vater ausfindig gemacht habe.«
Wieder ein sanfter Stoß. »Weiter«, sagte die andere Nonne zu Schwester Katherine.
Die andere seufzte. »Anne war in dem Moment nicht in der Küche. Ich erzählte ihr am Montagabend davon, als Sie schon wieder gegangen waren. Deshalb hatte sie auch beschlossen, sich auf die Suche nach ihm zu machen.« Alex sackte ein Stück in sich zusammen. »Sie hätte mich anrufen sollen. Ich wäre selbst losgezogen. Warum ist sie bloß allein gegangen?«
Die erste Nonne rümpfte pikiert die Nase. »Schwester Anne arbeitet schon seit Jahren auf diesen Straßen, und man kennt sie hier. Sie hatte nichts zu befürchten.« Dann seufzte sie. »Nun, offensichtlich doch. Wahrscheinlich wäre eine gesunde Angst von Vorteil gewesen. Jedenfalls wollte sie Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Sie wollte sehen, was sie tun konnte, und Ihnen dann am nächsten Tag Bescheid geben. Aber Sie sind am nächsten Tag nicht aufgetaucht, und Schwester Anne blieb ebenfalls weg.« Die alte Nonne besann sich wieder auf ihre übliche Schroffheit. »Nun, danke für die Medikamente. Ich sorge dafür, dass sie sinnvoll eingesetzt werden.« Und damit machte sie Alex die Tür vor der Nase zu. Alex sah die Straße entlang. »Wo geht's zum Woodruff Park?«
Aber Hatton nahm ihren Arm. »Dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Ich suche den Flötenspieler und schleppe ihn an, selbst wenn es nicht Crighton ist. Sie kommen jetzt mit. Sie sind verabredet.«
Atlanta, Mittwoch, 31. Januar, 15.30 Uhr
Daniel hatte seinen Wagen auf dem Gefängnisparkplatz abgestellt, blieb aber hinterm Steuer sitzen. Er hatte ihr von dem Gespräch mit Gretchen French erzählt, von dem Überfall, von der leeren Whiskyflasche. Er hatte ihr seinen Plan erklärt, Fulmore mit ihr zu erschrecken, und dass weder Fulmore noch sein Anwalt wusste, dass sie zusammen kämen. Sie auf den neusten Stand zu bringen, hatte ungefähr zwanzig Minuten gedauert. Den Rest der Fahrt hatte er geschwiegen und abwesend gewirkt. Sie hatte ihn brüten lassen und gehofft, dass er irgendwann wieder das Wort
Weitere Kostenlose Bücher