Todesbraeute
ergreifen würde, aber es war nicht geschehen.
Schließlich brach sie das Schweigen. »Ich dachte, wir wollten da reingehen.«
Er nickte. »Werden wir auch, aber ich muss vorher mit dir reden.«
Eine dumpfe Vorahnung drückte auf ihren Magen. »Und über was?«
Daniel schloss die Augen. »Ich weiß nicht, wie ich dich das fragen soll.«
»Frag einfach«, sagte sie und hörte ihre Stimme zittern. »Ist das Bild von Alicia wirklich Alicias ... oder deins?« Sie fuhr zurück. »Nein. Das bin ich nicht. Wieso ... wieso fragst du mich so etwas überhaupt?«
»Weil du Alpträume hast und Schreie hörst und dich an nichts erinnern kannst. Ich habe angenommen, dass Alicia vergewaltigt und in derselben Nacht ermordet wurde, aber das Muster passt nicht. Ich fragte mich also, ob die beiden Taten mit zeitlichem Abstand begangen wurden, von verschiedenen Tätern. Und dann fing ich an, mich zu fragen ...« Er sah sie an, und sie las Qual und Schuldgefühle in seinem Blick. »Was, wenn es auch zwei Opfer gegeben hat? Wenn Simon und die anderen dir das angetan haben?«
Alex presste sich die Finger auf die Lippen und konzentrierte sich einen Augenblick lang nur aufs Atmen. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »So leid.« Alex ließ die Hände in ihren Schoß sinken und zwang sich zum Denken. Konnte es sein? Nein. Sie hätte sich daran erinnern müssen. Nicht unbedingt. Mit diesen Worten hatte Meredith reagiert, als sie es vor einigen Stunden schon einmal abgestritten hatte.
»Du bist schon die zweite Person heute, die mich nach etwas Derartigem fragt. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, außer dass ich mich an nichts erinnern kann, aber ich erinnere mich auch nicht an den Abend, als sie starb. Auf dem Heimweg von der Schule fühlte ich mich plötzlich krank, daher ging ich direkt ins Bett. Dann weiß ich nur noch, dass mich meine Mutter am nächsten Morgen weckte und fragte, wo Alicia sei. Aber ich habe nicht geblutet, und ich erinnere mich auch nicht an eine Whiskyflasche. Ich kann mir vorstellen, dass sich solche Details einem eher einprägen.« Einen Moment lang schwiegen beide. Dann hob Alex ihr Kinn. »Du hast mir das Bild von Alicia nie gezeigt.«
Er sah sie entsetzt an. »Willst du es etwa sehen?« Hastig schüttelte sie den Kopf. »Nein. Aber es gab etwas, das uns beide unterschied.« Sie zog das linke Hosenbein hoch. »Kannst du es durch den Strumpf sehen?« Daniel beugte sich über den Schalthebel. »Die Tätowierung. Ein Schaf. Du hast mir gesagt, dass Bailey eins hatte. Nein, stimmt, du sagtest, ihr hättet alle eins. Montagmorgen, als du kamst, um dir die Tote anzusehen.« »Es ist eigentlich ein Lamm. Wir fanden das niedlicher. Meine Mutter nannte uns >ihre Lämmchen<. Bailey, Alicia und Alex. Kurz Baa. An unserem sechzehnten Geburtstag hatte Alicia die Idee mit der Tätowierung. Im Rückblick glaube ich, dass sie high war. Aber Bailey hatte zugestimmt, und es war unser Geburtstag, Alicias und meiner, und ich wollte nicht als Einzige kneifen.« »Ein Tattooshop, der Sechzehnjährige tätowiert?« »Nein, Bailey kannte da jemanden. Sie hat behauptet, wir wären siebzehn. Ich versuchte, mich im letzten Moment doch noch zu drücken, aber Alicia drohte mir mit akutem Liebesentzug.«
Einer seiner Mundwinkel zuckte. »Böse.«
»Ich habe damals nie irgendetwas Aufregendes oder Tolles getan, Alicia ist immer diejenige gewesen. Also machte ich mit. Kannst du auf dem Foto, das du hast, die Tätowierung sehen?«
»Ich habe nicht darauf geachtet.« »Dann sieh dir ihr rechtes Bein an.«
Er zog die Brauen hoch. »Du hast nicht dasselbe Bein genommen?«
Alex' Lächeln war winzig. »Nein. Erst war Bailey dran, dann Alicia, wie wir es immer hielten. Die beiden bewunderten gerade ihre Lämmer, als der Typ bei mir anfing. Ich streckte absichtlich meinen linken Fuß aus. Ich hatte es satt, den Ärger für Alicias Treiben zu bekommen.« »Du wolltest ein Unterscheidungsmerkmal? Was hat Alicia gesagt?«
»Als sie es bemerkte, war es schon zur Hälfte fertig, also zu spät. Aber, oh, sie war stinksauer. Und meine Mutter bekam einen Tobsuchtsanfall. Sie bestrafte uns alle, und zum ersten Mal seit langem musste Alicia die Verantwortung für ihre Taten tragen, anstatt mir alles in die Schuhe zu schieben. Und ich hatte endlich einmal das Gefühl, die Oberhand zu haben.« Aber dann war Alicia ermordet worden, und ihre Familie war vollkommen auseinandergefallen. Ihr Lächeln verblasste. »Sieh dir das Bild bitte noch
Weitere Kostenlose Bücher