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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dass nur ein Fakir hier barfuß gelaufen wäre. Zur Rechten fiel ein Hang ab, sie blickte vorsichtig über den Rand und erkannte, dass sie sich oberhalb eines Trichters befand. In dunkelgrünen, etwas eintönigen Flecken war die Flora dabei, das Gebiet zu erobern. Wenige Schritte weiter konnte man schließlich tiefer unten das Wasser türkis schimmern sehen, wie der Pool eines Touristenhotels funkelte die Blaue Lagune von Misburg fast kitschig in der Dämmerung.
    Wencke schob sich vorsichtig einen Abhang hinunter, links und rechts bekam sie immer ein paar Zweige zu fassen, die sie am zu schnellen Abgleiten hinderten. Es war verdammt steil hier, und die verschiedenen Ebenen hatten bis zu fünf Meter Höhenunterschied. Ein schmaler Vorsprung erlaubte eine Verschnaufpause, sie presste sich an die Wand und sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. Keine Frau mit buntem Kopftuch und keinen Mann mit stechendem Blick.
    War das Treffen bereits beendet? Hatte er die Beweise überbracht? Aber dann hätte auf dem Parkplatz nicht mehr der BMW gestanden. Obwohl, wer sagte ihr, dass dies wirklich der Sportflitzer der Anwältin war?
    »Frau Yıldırım?«, rief Wencke noch mal etwas lauter. Doch es war nur ihr eigenes Echo, das antwortete.
    Unter Wenckes Sohle löste sich ein Brocken und rollte inimmer kleiner zerbröselnden Stücken ins Tal. Ihr Fuß trat ins Nichts, ganz plötzlich, es blieb noch nicht einmal Zeit für einen Schrecken. Sie hielt sich instinktiv an der Steinwand fest, doch die Fläche war rau und porös und bot überhaupt keinen Halt, sie rutschte ab, zu schnell, um noch reagieren zu können. Wenige Sekunden später fand Wencke sich um einiges tiefer wieder, so verdreht, dass sie im ersten Moment nicht ausmachen konnte, welches Gliedmaß überhaupt noch zu ihr gehörte und ob es noch funktionstüchtig war. »Verdammt!«
    Sie klopfte den Schmutz von der Kleidung und wischte mit dem Ärmel ihrer Jacke über die Schürfwunde, die sich auf dem Knie breitmachte. Dann erst suchte sie den Rucksack, entdeckte ihn noch zwei Armlängen weiter unten und angelte vorsichtig danach, denn sie hatte keine Lust mehr, einen weiteren Abstieg in diesem Tempo zu riskieren. Ihr Handy klingelte im Stoffsack, bestimmt war es Axel, der endlich ihre zahlreichen Anrufversuche bemerkt hatte, Gott sei Dank. Doch das Teil war nicht so einfach zu erreichen, egal, wie sehr sie sich streckte. Der Boden ringsherum sah wenig vertrauenswürdig aus, also legte sie sich flach auf die Steine und schob sich mit dem Kopf voran nach unten. Zum Glück schien der Anrufer geduldig zu sein, endlich fühlten ihre Fingerspitzen den Rucksack, nur noch zehn Zentimeter, und sie würde ihn zu packen kriegen. Wencke ächzte und griff mit der rechten Hand nach einer Wurzel, die zur Not als Haltegriff taugen musste. Inzwischen staute sich das Blut in ihren Schläfen, kopfüber hing sie im Staub und hoffte, dass der Klingelton, den sie eben hörte, nicht der letzte sein würde.
    »Ja!« Sie jubelte fast, als sie den Schulterriemen zwischen die Finger bekam und das ganze Stoffteil nach oben ziehen konnte. Die untere Seite war aufgerissen, der Sturz musste eine der fadenscheinigen Nähte vollends gelöst haben. Vorsichtig balancierte sie das Gewicht in die andere Seite des Rucksacks,was schwieriger war als gedacht. In dem Moment, in dem sie hartes Plastik auf Stein treffen hörte und das Handyklingeln merklich leiser wurde, hätte sie am liebsten in den Felsen gebissen. »Scheiße!« Sie sah ein paar Einkaufszettel langsam nach unten segeln, folgte ihrem Flug und machte das Telefon aus, es war in eine schmale Spalte gerutscht, unerreichbar weit unten, und leuchtete und klingelte noch immer wie zum Hohn. »So ein Mist!«
    Sie setzte sich auf das Geröll, versuchte erst einmal, Atem zu holen. Dann riskierte sie einen erneuten Blick zum inzwischen verstummten Mobilgerät, als ob es sich nach dieser kurzen Weile von selbst aus seiner verzwickten Lage hätte befreien können. Doch sie musste einsehen, es war sinnlos, danach zu fischen. Die knappe Lücke zwischen den Steinen klaffte höchstens zehn Zentimeter weit, war aber so tief, dass man das Handy, nachdem das Display die Beleuchtung eingestellt hatte, nicht mehr sehen konnte. Nein, Wencke hing nicht an dem Ding, es war so altmodisch, dass es bei manchen Jugendlichen eine verblüffte Miene hervorgerufen hatte, weil man mit so etwas überhaupt telefonieren konnte. Doch jetzt und heute hätte sie es gebraucht,

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