Todescode
–«
»Ich hab’s ihm gesagt«, fiel Alex’ Vater ihr ins Wort. »Er sollte Katie nach Hause bringen. Ich hab’s ihm ausdrücklich gesagt.«
Alex versuchte, aus allem schlau zu werden. Am frühen Abend war die ganze Familie von einem zweitägigen Ausflug nach Bakersfield zurückgekommen, wo Ben bei der kalifornischen Ringermeisterschaft in der 77-Kilo-Klasse gewonnen hatte. Ben war außer sich vor Freude gewesen und hatte Alex zu dessen Verblüffung sogar vor allen Leuten auf der Tribüne umarmt. Zwei Freundinnen von Ben wollten am Abend eine Party für ihn geben, zu der auch Katie eingeladen war. Mehr hatte Alex nicht erfahren. Wie immer.
»Vielleicht hat Wally sie gefahren«, sagte Alex mit dünner Stimme, weil er helfen wollte. Wally Farquhar war Katies Freund. Er war in der Oberstufe und fuhr einen schicken schwarzen Mustang. Er nahm nie Notiz von Alex, und Alex konnte ihn nicht besonders leiden. Er hatte das Gefühl, dass seine Eltern auch nicht gerade begeistert von Wally waren.
Längeres Schweigen trat ein, und Alex fragte sich, ob er irgendwas Falsches gesagt hatte. Dann sprach sein Vater mit einer so harten Stimme, dass er sie kaum wiedererkannte. »Wally
ist
gefahren.«
Den Rest der Fahrt sagte keiner mehr ein Wort. Als hätte die Tatsache, dass Wally gefahren war, irgendetwas entschieden, irgendetwas Schreckliches und zugleich Endgültiges.
Alex hätte gern mehr gewusst, doch er traute sich nicht zu fragen. Katie hatte einen Autounfall gehabt … aber sie würde doch wieder gesund, oder? Und wieso hatte Ben sie nicht nach Hause gebracht? Seine Eltern hatten es ihm doch aufgetragen. Er konnte das Gefühl nicht benennen, aber er spürte, dass Ben irgendwas richtig Schlimmes gemacht hatte und deshalb an allem, was jetzt gerade passierte, schuld war.
Aber vielleicht passierte es ja gar nicht. Vielleicht schlief er noch zu Hause in seinem Bett. Vielleicht war das alles, seine drückende Blase, die irrwitzige Fahrweise seines Vaters, das Geräusch, das seine Mutter gemacht hatte, dieser ganze beängstigende Ruck, der in ihrer aller Leben gefahren war, bloß ein schrecklicher Traum, aus dem er gleich aufwachen würde.
Sein Vater kam vor der Notaufnahme des Stanford Medical Center mit quietschenden Reifen zum Stehen und stellte den Motor ab. Seine Eltern sprangen heraus, knallten die Türen hinter sich zu, und Alex begriff, dass sie nicht auf den Parkplatz fahren, sondern den Wagen einfach hier stehen lassen würden. Was sollte er jetzt tun? Keiner hatte ihm irgendwas gesagt, und er fühlte sich von ihnen alleingelassen.
Er stieg aus. Die Nacht war kalt und still, und er konnte seine Atemwolken sehen, konnte die wirbelnden Dampfkegel unter den gelblichen Lampen vor dem Gebäude sehen. Die Krankenhausfassade schien in der Dunkelheit zu glühen, und die Umrisse des Gebäudes waren unscharf. Sein Gefühl, dass er vielleicht nur träumte, verstärkte sich.
Er lief hinein und stellte sich zu seinen Eltern. Sein Vater sprach gerade mit einer schwarzen Frau an einem Schalter, eine Krankenschwester oder eine Empfangssekretärin. Katie Treven, sagte er gerade. Wir sind ihre Eltern. Wo ist sie?
Die Frau schaute auf ein Blatt Papier vor sich, dann Alex’ Vater an. »Sie wird gerade operiert, Sir.«
Operiert.
Vor Alex’ geistigem Auge tauchten maskierte Ärzte in blutigen Kitteln auf, grellweiße OP -Lampen, Tabletts mit blitzenden Metallinstrumenten. Der Gedanke, dass Katie im Zentrum von all dem war, hier, in diesem Augenblick …
»Wir müssen sie sehen«, sagte Alex’ Mom mit einer Stimme, die verängstigt und fest zugleich klang. »Wo ist sie?«
Die Frau blickte Alex’ Mutter an, und obwohl ihr Gesicht nicht ohne Mitleid war, erkannte Alex irgendetwas Unbewegliches darin. Er konnte spüren, wie oft die Frau diese Szene schon erlebt hatte, wie routiniert sie mit dieser Situation umging.
»Ma’am«, sagte sie. »Ich kann verstehen, wie aufgewühlt Sie sind. Aber Sie dürfen nicht in den Operationssaal. Das ist ein steriler Raum, und wenn Sie hineingehen, könnten Sie Ihrer Tochter nur schaden, nicht helfen. Bitte, nehmen Sie doch im Wartezimmer Platz. Der Arzt kommt in Kürze zu Ihnen.«
Alex sah, wie die Schultern seiner Eltern nach unten sackten, und sie schlurften alle drei davon, kleinlaut, verängstigt und mutlos. Er fragte sich kurz, woher er das über die Krankenschwester gewusst hatte. Diese Art von Einsicht war neu für ihn, und eigentlich wollte er sie gar nicht.
Der kleine, rechteckige
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