Todescode
noch da! Und ich geh auch nicht weg.
Er fragte sich, ob es bei anderen Leuten auch so war. Schlug sich jeder mit so einem Scheiß herum, wenn er gestresst war?
Er dachte einen Moment an Ben, fragte sich, ob er auch von solchen Erinnerungen heimgesucht wurde. Ha, der doch nicht. Es war schon absurd – der Typ, der nicht nur das alles verursacht hatte, sondern auch das, was danach passierte, schlief nachts vermutlich friedlich wie ein Baby.
10 König der Welt
Ben langweilte sich zunehmend in Ankara. Auf eine Zielperson zu warten war eine Sache; dafür hatte er die Geduld eines Scharfschützen. Aber auf Informationen zu warten war etwas anderes. Hort hatte noch nichts über den Russen herausfinden können, falls der Bursche überhaupt Russe war, und hatte ihm gesagt, er solle bleiben, wo er war, bis sie mehr wüssten. Also vertrieb er sich die Zeit mit Lesen und Fitnesstraining und mit dem Besuch von ein paar berühmten archäologischen Stätten.
Die Zitadelle von Ankara war beeindruckend, wie er zugeben musste. Er ging eines Morgens aus einer Laune heraus hin. Sie stand auf einem fast tausend Meter hohen Berg, und die Stadt tief unten war unsichtbar, in Nebel gehüllt. Er dachte an die Menschen, die die Zitadelle erbaut hatten. Sie waren längst nicht mehr da, aber in der Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, hatten sie es geschafft, einen Gipfel mit einem Monument zu krönen.
Dann dachte er an seine Eltern.
Seht ihr wohl? Jetzt krieg ich doch noch ein bisschen Kultur ab. Ich hab’s euch doch gesagt.
Er schmunzelte. Ihre Vorstellungen von Kultur hatten sich schon immer von seinen unterschieden. Sie waren strikt gegen die Army gewesen, gleich als er in der Highschool zum ersten Mal davon anfing. Sein Vater wollte, dass Ben, der anders als Alex kein Talent für Naturwissenschaften hatte, Anwalt wurde. Ben fand die Idee ungefähr so verlockend wie die Aussicht auf eine Lobotomie mit anschließendem Leben im Lehnstuhl.
Sein Vater hatte ihn gedrängt, sich um einen Studienplatz zu bewerben. »Halt dir alle Möglichkeiten offen«, hatte sein alter Herr argumentiert. »Leg dich noch nicht fest. Wenn eine gute Uni dich nimmt, kannst du davon nur profitieren. Und anschließend kannst du immer noch zur Army, Offizierslaufbahn. Dann hast du alle Vorteile und Möglichkeiten eines Uni-Abschlusses plus die des Militärs.«
Ben wusste, was sein alter Herr in Wirklichkeit dachte:
Bis du den Uni-Abschluss machst, hast du dir diese blöde Idee längst aus dem Kopf geschlagen.
Er wollte für Ben bloß so lange die »richtigen« Weichen stellen, bis es für ihn kein Zurück mehr gab.
Bei Bens Footballspielen und Ringkampfturnieren waren immer Talentscouts von den Unis, und er wusste, dass Stanford, Berkeley, Michigan, Penn und einige andere Hochschulen gute Sportler suchten. Aber seine Noten waren wirklich nicht berauschend. Um seinen Vater zu beschwichtigen, bewarb er sich an einigen Unis, aber nur weil er fest davon ausging, dass sie ihn nicht nehmen würden. Dann könnte er sagen:
Siehst du, ich hab’s versucht, aber es hat nicht geklappt. Army, ich komme.
Es hätte auch fast funktioniert. Doch sein alter Herr saß im Kuratorium von Stanford, ausgerechnet der Uni, die sich am meisten für Bens Footballtalent interessierte. Er ließ ein paar Beziehungen spielen, und Ben wurde angenommen. Dann fing sein alter Herr mit einer neuen Platte an: Stanford ist das Beste, was dir passieren kann. Dort wirst du sogar spielen können, während du an den renommierteren Unis im ersten Jahr sowieso nur auf der Reservebank sitzt. Außerdem bekommst du da eine prima Ausbildung, was dir später als Offizier zugutekommen wird.
Ben wusste, dass sein Dad nicht unrecht hatte, aber er wollte auf keinen Fall auf eine Uni, die so nah an zu Hause lag. Nein, er wollte ganz weit weg von zu Hause, am liebsten ins Ausland. Er konnte nicht genau erklären, warum. Er liebte seine Familie, in der Bay Area ließ es sich gut leben, und Stanford war eine gute Uni, und ja, er könnte dort Football spielen und auch Ringen, aber … er wollte einfach irgendwas ganz Neues, irgendwas, für das er geschaffen war, wie es sein Dad oder gar Alex niemals sein würden. Er hatte etwas Besonderes in sich, das spürte er, und gerade mal drei Meilen von seinem Elternhaus entfernt zu studieren … das war falsch. Das wäre wie Verrat an sich selbst gewesen, obwohl er dieses Gefühl selbst nicht richtig verstand und schon gar nicht seinem Dad erklären konnte.
Er hatte
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