Todesdämmerung
Energie und seine Männlichkeit fest, denn er verlor seine Erektion nicht, nicht einmal einen Augenblick lang, und sie hielten nur inne, um die Stellung zu wechseln, blieben ineinander verschlungen, bis sie oben war, und dann ritt sie ihn in einem fließenden Rhythmus, wie er das noch nie erlebt hatte. Er verlor den Sinn für Zeit und Raum, verlor sich in dem weichen, seidigen, stummen Lied aus Fleisch und Bewegung.
Ihr ganzes Leben lang war sie in der Liebe noch nie so ohne jegliche Befangenheit gewesen. Über lange Augenblicke hin weg vergaß sie, wo sie war, ja sogar, wer sie war; sie wurde ein Tier, ein kopulierender Organismus, der nur den Genuß suchte und alles andere vergaß. Nur einmal gab es eine Un terbrechung im hypnotischen Rhythmus ihrer Liebe, und das war, als sie plötzlich das Gefühl packte, Joey wäre die Treppe heruntergekommen und stünde im Schatten, beobachtete sie. Aber als sie den Kopf von Charlies Brust hob und sich umsah, sah sie nichts außer den Schattenumrissen der Möbel im Widerschein des ersterbenden Feuers und wußte, daß sie es sich nur eingebildet hatte. Dann packte sie erneut die Wollust mit einer Macht, die sie verblüffte, ihr angst machte, und sie gab sich wieder ganz ihrer Lust hin, war unfähig, irgend etwas anderes zu tun, war völlig versunken.
Am Ende hatte Charlie drei Orgasmen erlebt und nicht mehr mitgezählt, wie oft sie zum Höhepunkt gekommen war, aber er brauchte nicht Buch zu führen, um zu wissen, daß keiner von ihnen beiden je so etwas erlebt hatte. Als es vorbei war, zitterte er immer noch und kam sich vor, als stünde er unter Rauschgifteinfluß. Sie lagen eine Zeitlang da, ohne zu reden, bis sie schließlich draußen den Wind heulen hörten und bemerkten, daß es in dem Raum kühl geworden war. Erst jetzt zogen sie sich widerstrebend an und gingen nach oben, wo sie das zweite Schlafzimmer für sie herrichteten.
»Ich sollte bei Joey schlafen und dir dieses Bett überlas sen«, sagte sie.
»Nein, wenn du jetzt hineingehst, weckst du ihn nur. Das arme Kind braucht Ruhe.«
»Aber wo wirst du schlafen?« fragte sie.
»In der Galerie.«
»Auf dem Boden?«
»Ich werde meinen Schlafsack vor die Treppe legen.«
Einen Augenblick lang verdrängte die Besorgnis den verträumten Blick aus ihren Augen. »Ich dachte, du hättest gesagt, die könnten unmöglich heute nacht hierherkommen, selbst wenn...«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. »Können sie auch nicht. Überhaupt nicht. Aber Joey sollte mich doch nicht am Morgen in deinem Bett liegen sehen, oder? Und die Sofas unten sind zum Schlafen zu hart. Wenn ich also schon einen Schlafsack benutze, kann ich ihn ebensogut hier auslegen.«
»Und eine Waffe danebenlegen?«
»Natürlich. Obwohl ich sie nicht brauchen werde. Also leg dich jetzt schlafen.«
Als sie unter der Decke lag, gab er ihr einen Gutenachtkuß und ging dann rückwärts aus dem Zimmer, ließ die Tür einen Spalt offenstehen.
In der Galerie sah er auf die Uhr und erschrak, wie spät es war.
Konnte es sein, daß sie sich fast zwei Stunden lang geliebt hatten?
Ganz sicher nicht. Es war etwas beängstigend und herrlich Animalisches darangewesen; sie hatten sich ihrer Liebe mit einer Intensität hingegeben, daß die Zeit jede Bedeutung verloren hatte, aber die Vorstellung, daß er so unersättlich gewesen war, war ihm dennoch rätselhaft. Und doch war seine Uhr bisher noch nie vorgegangen; sie konnte doch ganz sicher in der letzten halben Stunde nicht gleich eineinhalb Stunden zugelegt haben.
Dann wurde ihm bewußt, daß er hier alleine vor ihrer Schlafzimmertür stand und wie ein Honigkuchenpferd grinste, voller Befriedigung.
Er legte unten Holz nach, trug einen Schlafsack auf die Galerie und rollte ihn aus, schaltete die Treppenbeleuchtung aus und schlüpfte in den Schlafsack. Er lauschte auf den Sturm, der draußen wütete; aber nicht lange, denn der Schlaf kam wie eine große dunkle Woge.
Im Traum legte er Joey ins Bett, zog die Decke zurecht, schüttelte dem Jungen das Kissen auf, und Joey wollte ihm einen Gutenachtkuß geben; Charlie beugte sich über ihn, aber die Lippen des Jungen waren hart und kalt auf seiner Wange. Als er hinunterblickte, sah er, daß der Junge plötzlich kein Gesicht mehr hatte, sondern nur einen kahlen Schädel mit zwei starren Augen, die in dem ansonsten knochigen Antlitz schrecklich deplaziert waren. Charlie hatte an seiner Wange keine Lippen gespürt, sondern einen fleischlosen Mund, kalte Zähne. Er
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